Der erste Teil von Death Stranding war ein Phänomen. Veröffentlicht in einer Welt, die am Rande einer globalen Spaltung stand, zelebrierte es die Notwendigkeit menschlicher Verbindung und wurde nur wenige Monate später auf unheimliche Weise von der COVID-19-Pandemie widergespiegelt. Es war ein Spiel, das Meinungen spaltete: für die einen ein meditatives Meisterwerk, für die anderen eine beschwerliche Paketzustellungssimulation. Mit Death Stranding 2: On the Beach kehren wir in diese zerrissene Welt zurück, doch die Vorzeichen haben sich dramatisch verkehrt. Hideo Kojima und sein Team bei Kojima Productions stellen nicht nur eine Fortsetzung vor, sondern eine philosophische Antithese, die die zentrale Botschaft des Vorgängers kühn infrage stellt.
Unsere Reise beginnt in einer unerwarteten Idylle. Sam Porter Bridges, der Mann, der einst Amerika wiedervereinte und eine Phobie vor Berührungen hatte, lebt zurückgezogen in Mexiko. Er ist nun Vater und kümmert sich liebevoll um Lou, die kein Fötus in einem Behälter mehr ist, sondern ein Kleinkind, das seine ersten Schritte wagt. Diese Momente der väterlichen Zuneigung sind von kurzer Dauer. Die Welt dringt in Person von Fragile und ihrer neuen zivilen Organisation „Drawbridge“ in Sams Refugium ein. Sie bittet ihn um Hilfe, das chirale Netzwerk nach Mexiko auszuweiten – eine letzte Mission, bevor er endgültig in sein neues Leben zurückkehren kann. Doch Kojima wäre nicht Kojima, wenn er uns nicht jäh aus dieser trügerischen Sicherheit reißen würde.
Ein wiedergeborener, nunmehr kybernetischer Higgs greift Sams Zuhause an, dieser brutale Akt des Verlustes dient als Katalysator für die gesamte Erzählung. Sams Motivation wandelt sich von staatsbürgerlicher Pflicht zu einem tief persönlichen Kreuzzug, getrieben von dem Wunsch nach Vergeltung. Es ist ein emotional unmittelbarerer und packenderer Einstieg als im ersten Teil.
Dieser Schmerz legt das Fundament für die zentrale Frage des Spiels, die uns wie ein Damoklesschwert begleitet: „Hätten wir uns verbinden sollen?“.
Kojima selbst hat bestätigt, dass die Erfahrung der Pandemie ihn dazu veranlasste, die Geschichte von Grund auf neu zu schreiben, um die Gefahren einer zu starken Vernetzung zu thematisieren. Das Spiel tauscht metaphorisch das Seil, das Symbol der Verbindung, gegen den Stock, das Symbol des Konflikts, ein und zwingt uns, die Konsequenzen unserer früheren Taten zu hinterfragen.
Gameplay
Metal Gear Paketlieferant
Das Kernkonzept von Death Stranding 2 bleibt dem Vorgänger treu, doch die Ausführung wurde in nahezu jeder Hinsicht verfeinert, erweitert und verbessert. Die Entwickler haben auf die Kritik gehört und viele der Reibungspunkte des Originals beseitigt, was zu einem flüssigeren und zugänglicheren Spielerlebnis führt, ohne jedoch die einzigartige Identität der Serie zu verraten.
Die Reise führt uns diesmal über die Grenzen der ehemaligen UCA hinaus auf zwei neue, riesige offene Karten: Mexiko und Australien. Diese neuen Kontinente bieten eine weitaus größere landschaftliche Vielfalt, von den trockenen Wüsten und Sanddünen Mexikos bis zu den abwechslungsreichen Biomen Australiens. Die Welt selbst fühlt sich lebendiger und unberechenbarer an. Ein neues Tag-Nacht-System und dynamische Umweltkatastrophen wie plötzlich auftretende Überschwemmungen, die trockene Flussbetten in reißende Ströme verwandeln, Lawinen auslösende „Gate Quakes“ oder die Sicht behindernde Sandstürme sorgen dafür, dass keine Lieferung der anderen gleicht. Diese Ereignisse sind mehr als nur visuelles Spektakel; sie greifen direkt in die Spielmechanik ein und erfordern ständige Anpassung und Improvisation. Um diesen neuen Herausforderungen zu begegnen, wurde auch Sams Arsenal an Werkzeugen und Fahrzeugen erheblich erweitert. Neben verbesserten Versionen bekannter Ausrüstung wie verlängerbaren Leitern und flexibleren Seilrutschen ist die Einführung von Monorails ein Wendepunkt im späten Spielverlauf.
Der Bau dieser Schienensysteme verbindet entlegene Außenposten und revolutioniert die Logistik, was lange Transportwege deutlich effizienter und sicherer macht. Zahlreiche Quality-of-Life-Verbesserungen reduzieren zudem den früheren Verwaltungsaufwand erheblich. Ein neues Radialmenü ermöglicht das automatische Anordnen der Fracht mit nur einem Knopfdruck, die Abgabe von Aufträgen wurde beschleunigt und ein neues „Corpus“-Menü, das sogar während der Zwischensequenzen zugänglich ist, fasst die komplexen Story-Details übersichtlich zusammen.
Der vielleicht signifikanteste Wandel vollzieht sich im Kampfsystem. Während der Vorgänger Konfrontationen oft bestrafte, rückt Death Stranding 2 den Kampf als eine vollwertige strategische Option in den Vordergrund. Spieler haben nun die klare Wahl zwischen direktem Angriff, heimlichem Vorgehen oder vollständiger Vermeidung von Konflikten. Die Gegner-KI wurde massiv verbessert; Feinde agieren taktischer, flankieren cleverer und reagieren realistischer auf Geräusche und Sichtkontakt, was sowohl offene Gefechte als auch Schleichpassagen anspruchsvoller gestaltet.
Einflüsse aus Metal Gear Solid V sind unverkennbar: Wir können Feinde aus der Ferne markieren, indem wir eine schwebende Puppe namens Dollman als Aufklärungsdrohne nutzen, und mit Betäubungs-Scharfschützengewehren ganze Lager lautlos ausschalten. Das Nahkampfsystem wurde um Ausweichmanöver, Paraden und Konterangriffe erweitert, was den Kämpfen eine neue physische Dimension verleiht.
Die Charakterentwicklung erfolgt über das neue APAS-Verbesserungssystem, einen Fähigkeitenbaum mit den drei Zweigen Kampf, Schleichen und Botendienste, der es uns erlaubt, Sam an unseren bevorzugten Spielstil anzupassen.
Das Herzstück der Online-Komponente, das Social-Strand-System, kehrt ebenfalls zurück und fördert weiterhin ein einzigartiges Gefühl der Zusammenarbeit. Von anderen Spielern errichtete Leitern, Brücken und Generatoren tauchen in unserer Welt auf und erleichtern uns die Reise. Wir bedanken uns mit „Likes“, einer Währung ohne materiellen Wert, die aber das positive Gefühl der gegenseitigen Hilfe verstärkt. Allerdings birgt dieses System auch eine kleine Tücke: Manchmal werden neu erschlossene Gebiete sofort mit hochstufigen Bauten anderer Spieler überflutet, was die persönliche Herausforderung und die Befriedigung, eigene Wege zu schaffen, etwas schmälern kann.
Grafik & Sound
Ein audiovisuelles Meisterwerk
Death Stranding 2: On the Beach ist nicht nur ein spielerisches, sondern auch ein technisches Ausrufezeichen und wohl eines der beeindruckendsten Spiele, die wir bisher auf der PS5 erleben durften. Als reiner PS5-Titel, ohne die Fesseln der Cross-Gen-Entwicklung, nutzt Kojima Productions die Leistung der Konsole voll aus und erschafft eine Welt von atemberaubender Schönheit und Detailtreue.
Die weiterentwickelte Decima Engine zaubert Landschaften auf den Bildschirm, die in ihrer Komplexität und ihrem Realismus neue Maßstäbe setzen. Felsformationen, Vegetation und dynamische Wettereffekte wie Sandstürme oder sintflutartige Regenfälle sind von einer Qualität, die ihresgleichen sucht.
Besonders die Charaktermodelle sind eine Klasse für sich. Dank 4D-Scantechnologie werden die subtilsten mimischen Nuancen der Schauspieler erfasst, was den Figuren eine unglaubliche Lebendigkeit und emotionale Tiefe verleiht. Kojimas filmreife Inszenierung in den Zwischensequenzen, mit meisterhafter Kameraführung und cineastischen Tiefenschärfe-Effekten, untermauert den Anspruch, Spiel und Film zu einer nahtlosen Erfahrung zu verschmelzen. All diese Pracht wird durch die nahezu sofortigen Ladezeiten der PS5-SSD ermöglicht, die ein absolut flüssiges Spielerlebnis ohne spürbare Unterbrechungen gewährleisten.
Die akustische Untermalung steht der visuellen Brillanz in nichts nach. Der Soundtrack ist eine meisterhafte Kollaboration zwischen dem zurückkehrenden Komponisten Ludvig Forssell und dem französischen Künstler Woodkid. Forssells experimentelle, oft auf Alltagsgeräuschen basierende Klangteppiche verschmelzen perfekt mit Woodkids epischen, emotionalen Orchesterarrangements.
Eine der faszinierendsten Neuerungen ist das adaptive Musiksystem: Der Soundtrack passt sich dynamisch unserem Spielstil an. Verlassen wir den vorgegebenen Pfad, reduziert sich die Instrumentierung auf eine sanftere Melodie, was jede Reise zu einem einzigartigen akustischen Erlebnis macht.
Die ikonische Verwendung lizenzierter Songs von Künstlern wie Low Roar oder Hania Rani findet ebenfalls ihre Fortsetzung. Mit dem neuen, tragbaren Musik-Player können wir nun jederzeit unsere eigene Playlist für die langen Märsche zusammenstellen – ein von Fans lang ersehntes Feature. Die Immersion wird durch die exzellente Nutzung des DualSense-Controllers der PS5 abgerundet. Das haptische Feedback lässt uns die Beschaffenheit des Bodens unter Sams Füßen spüren, während die adaptiven Trigger den Widerstand beim Balancieren schwerer Lasten oder den Rückstoß von Waffen simulieren.
Fazit
Kojimas Opus Magnum?
Death Stranding 2: On the Beach ist eine kühne, kompromisslose und zutiefst persönliche Fortsetzung, die ihren Vorgänger in fast jeder Hinsicht übertrifft.
Die Erzählung ist ein typisches Kojima-Labyrinth aus Verschwörungen, philosophischen Monologen und schockierenden Wendungen. Wir decken die wahre Natur von Lou auf, ergründen die Motive des wiedergeborenen Higgs, lernen neue, faszinierende Charaktere wie die mysteriöse Tomorrow und den Soldaten Neil Vana kennen und werden mit Enthüllungen konfrontiert, die alles, was wir zu wissen glaubten, auf den Kopf stellen.
Diese oft bizarre und mit Akronymen überladene Handlung wird von den phänomenalen Leistungen eines hochkarätigen Ensembles getragen. Norman Reedus, Léa Seydoux, Troy Baker und die Neuzugänge Elle Fanning und Luca Marinelli liefern Darbietungen von einer emotionalen Wucht, die selbst die absurdesten Momente der Geschichte erdet und glaubhaft macht.
Kojimas Erzählstil bleibt jedoch ein zweischneidiges Schwert: Seiner unbestreitbaren Originalität und emotionalen Kraft stehen gelegentliche Längen, übermäßige Exposition und Momente der Selbstparodie gegenüber, die nicht jedermanns Geschmack treffen werden. Doch die fesselnden letzten Stunden, vollgepackt mit Enthüllungen und spektakulärer Action, entschädigen für jede erzählerische Durststrecke.
Am Ende unserer Reise steht die Erkenntnis, dass Death Stranding 2: On the Beach mehr ist als nur eine Fortsetzung. Es ist eine Reflexion, eine Korrektur und eine Erweiterung der ursprünglichen Vision. Es ist zugänglicher und spielerisch befriedigender, ohne die thematische Tiefe und den künstlerischen Anspruch des Originals zu opfern.
Die wenigen Kritikpunkte, wie das gelegentlich überladene Social-Strand-System oder der Umstand, dass die grundlegende Spielmechanik nach wie vor nicht für jeden geeignet ist, verblassen angesichts der schieren Ambition und der meisterhaften Ausführung. Hideo Kojima hat ein Spiel geschaffen, das uns herausfordert, unterhält und noch lange nach dem Abspann zum Nachdenken anregt.
Es ist ein technischer Meilenstein für die PS5, ein emotionales Epos über Verlust und Hoffnung und möglicherweise das bisherige Meisterwerk eines der einzigartigsten Autoren der Spielebranche.
Sollten wir uns also verbinden? Die Antwort darauf überlässt das Spiel uns selbst, aber die Reise zur Findung dieser Antwort ist ein unvergessliches Erlebnis.
- Brich auf zu einer inspirierenden Mission der menschlichen Kontakte jenseits der UCA.
- Sam macht sich – mit Gefährten – erneut auf die Reise, um die Menschheit zu retten.
- Begleite sie in eine Welt mit übernatürlichen Feinden, Hindernissen und der quälenden Frage: Hätten wir uns verbinden sollen?