Bild: EA & Codemasters

[ TEST ] F1 22 – Der Beginn einer neuen Ära

Dramatik pur! Auf und abseits der Rennstrecke. Der jährlich wiederkehrende Rennzirkus vom britischen Entwicklerstudio Codemasters gestaltet sich in diesem Jahr ganz besonders spannend. Die FIA hat als Dachverband des Rennsports eine beeindruckend lange Liste an Änderungen für die aktuelle Saison der Formel 1 bestimmt. Manch einer behauptet sogar, dies sei eine „ganz neue Ära des Rennsports“. Die neuen F1-Reglements wirken sich auf die Aerodynamik aus, auf die Zusammensetzung der Reifen, auf die Leistung der Boliden und vieles mehr.

Die Änderungen sind so gravierend, dass es in der aktuellen Saison oft so scheint, als wäre es die größten Herausforderungen für die Teams und Fahrer der Formel 1, ihre Autos an die neuen Gegebenheiten anzupassen. Wer sich über die Länge eines Rennes am besten darauf einstellen kann, wird sich 2022 zum Weltmeister krönen können.

Mercedes und besonders Lewis Hamilton beißen sich am eigenen Wagen die Zähne aus und dürfen sich wohl keine Chancen auf einen Titel ausmalen. Ferrari hat das derzeit wahrscheinlich beste Auto am Start und mit Charles Leclerc und Carlos Sainz zwei Weltklasse-Fahrer im Team. Doch Ferrari verspielt seine Chancen und der Technik mangelt es an Zuverlässigkeit, wodurch die Scuderia wertvolle Punkte liegen lässt. Zur Freude von Max Verstappen und Red Bull, die derzeit souverän die Rennwochenenden für sich entscheiden.

Gameplay
Viele kleine Neuerungen statt radikaler Weiterentwicklung

Und genau diese Herausforderung der neuen Reglements und die Dramatik der Fernsehübertragungen ist es, was Codemaster auch mit F1 2022 virtuell abbilden und für den Spieler fühlbar machen möchte.

Im letzten Jahr wurde Codemasters für 1,2 Milliarden Dollar von der amerikanischen Spieleschmiede EA aufgekauft und der Einfluss von EA wird sofort deutlich, denn der Titel wurde zu einem kompakteren Spiel umgestellt, welches eher mit der immens beliebten FIFA-Reihe vergleichbar ist, während die Menümusik in F1 22 im Vergleich zum stimmungsvollen, intensiven Soundtrack früherer F1-Spiele zu der Indie-/Elektronik-Musik aus FIFA mutiert.

F1-Life und Supercars

Zu den wichtigsten Änderungen des diesjährigen Spiels gehört – neben der erstmaligen nativen VR-Implementierung der PC-Version – die Einführung des F1 Life-Features, mit dem wir ein Art Studio-Apartment nach unserem Geschmack mit verschiedenen Einrichtungsoptionen wie Sofas, Wandkunst und einem Supercar unserer Wahl einrichten können, das als Herzstück unserer virtuellen Wohnung dient.

In F1-Life dürfen wir unseren eigenen Showroom gestalten. Außer der Optik, bietet dieses Feature allerdings keinen Mehrwert.

Supercar? Unter Supercars versteht man hochleistungsfähige Straßenautos, die jede Menge PS unter der Haube haben. Und von denen sind sieben verschiedene Modelle im Spiel integriert, die alle von den vier Motoren-Herstellern, die derzeit in der Formel 1 antreten, abstammen.

Das F1 Life ermöglicht es auch anderen Spielern aus der ganzen Welt, unseren Raum zu besuchen, um unseren einzigartigen Sinn für Stil zu kritisieren und zu bestaunen, und den persönlichen Trophäenschrank anzusehen. Ist F1 Life wirklich notwendig, um das Spielerlebnis in F1 2022 zu bereichern? Nein, wahrscheinlich nicht. Es ist eher als ein nebensächliches Gimmick zu betrachten, dass mehr mit „Die Sims“ zu tun hat als mit einem Rennspiel.

Supercars

Doch die angesprochenen Supercars verstauben nicht nur als Deko-Objekte in unserem Apartment. Vielmehr bietet F 2022 insgesamt 40 Herausforderungen, die Fahraspekte wie Driften, Zeitangriffe sowie Duelle gegen einen KI-Fahrer, der dieselbe Maschine steuert, umfassen.  Diese Herausforderungen können als geistiger Nachfolger der klassischen F1-Herausforderungen aus früheren Titeln betrachtet werden, wobei die Supercar-Tests auch im Karrieremodus als eine Art Abwechslung zwischen den Rennwochenenden enthalten sind.

Die Entscheidung, die Supercars in das offizielle F1-Spiel einzubauen, hat sich im Vorfeld der Veröffentlichung des Titels als polarisierend für die Fans der Serie erwiesen. Die Tatsache, dass dies auf Kosten des gut angenommenen Story-Modus von F1 2021 geschehen ist, in dem wir als Spieler in die Rolle des aufstrebenden Star-Fahrers Aiden Jackson schlüpften, der sich seinen Weg durch die F1-Ränge bahnt, ist dabei nicht gerade hilfreich.

Das Handling der Autos macht wirklich Spaß. Jede Maschine hat ein gutes Gefühl für die Gewichtsverlagerung, so dass wir mit ihr am oder über dem Limit spielen können, während wir driften oder die Strecke attackieren, um die Rundenzeit zu maximieren.

Mikrotransaktionen

An dieser Stellen wollen wir kurz auf die Mikrotransaktionen eingehen. Der ein oder andere mag jetzt argumentieren, dass es die ja auch schon in den Vorgängern gegeben hat und dass das gar nicht der Rede wert sei.

Es ist durchaus der Rede wert: denn das Angebot an Mikrotransaktionen wurde im Spiel stark erweitert. Beruhigend ist, dass sich das Angebot lediglich auf rein optische Items beschränkt. Niemand wird sich durch Geld einen Gameplay-Vorteil verschaffen können.

Wirklich geschickt sind die kleinen DLCs trotzdem nicht ins Spiel implementiert. Unser eigener Avatar lässt sich nämlich jetzt auch umfangreich einkleiden und die Items sind obendrein noch von real existierenden Marken entlehnt. Wir dürfen unserer Spielfigur etwa Kopfhörer von Beats aufsetzen oder ein Shirt von Adidas tragen lassen. Billig wird der Marken-Kleiderwahn aber nicht. Die Kopfhörer kosten derzeit etwa 4.000 Credits, was einen Gegenwert von ca. 4 Euro entspricht.

Das alles ist allerdings so nebensächlich und unwichtig für das restliche Spiel, dass man diesen dreisten Versuch, den Spielern Geld abzuknöpfen, getrost ignorieren kann, ohne dabei etwas am Spielspaß zu verpassen.

In Supercar-Herausfordungerungen lässt sich etwas Geld für unser Team gewinnen.

MyTeam und Karrieremodus

Der Karrieremodus von F1 22 wird wahrscheinlich der Spielmodus sein in denen die meisten Spieler einen Großteil der Spielzeit investieren werden – vor allem auf lange Sicht – obwohl man bei der diesjährigen Ausgabe sagen kann, dass es sich eher um eine leichte Evolution als um eine tiefgehende Weiterentwicklung handelt, was nicht unbedingt eine schlechte Sache ist.

MyTeam, in dem wir unser eigenes F1-Team erstellen dürfen, Sponsoren anwerben, einen Motorenlieferanten und einen Teamkollegen auswählen – das alles kehrt mit F1 2022 neben dem herkömmlichen Karrieremodus zurück.

Als Spieler müssen wir entscheiden, in welche Bereiche unseres Teams wir unser Geld investieren, uns um Personalfragen kümmern und einen Teamkollegen einstellen. Unsere Entscheidungen formen die Weiterentwicklung unseres Autos und des Teams.

Die Änderungen beschränken sich in diesem Jahr auf kleine Ergänzungen wie die neue Einstellung „Adaptive KI“ – die die KI verlangsamt oder beschleunigt, um sich in Echtzeit an die Fähigkeiten des einzelnen Spielers anzupassen – sowie die Aufnahme der Stile „Immersiv“ und „Broadcast“ für Boxenstopps, Safety-Car-Phasen und Formationsrunden.

In MyTeam kümmern wir uns um unseren eigenen Rennstall, samt Personal und Mechaniker.

Mit „Immersiv“ ist gemeint, dass das Einfahren bei einem Boxenstopp nicht mehr gänzlich automatisch abläuft, sondern von uns durch gut abgestimmte Tasteneingaben optimiert wird, um einige entscheidende Zehntel der kostbaren Boxenzeit einzusparen. Mit „Broadcast“ können wir uns hingegen zurücklehnen und dem Spiel die ganze Arbeit überlassen, während wir externe Kameraperspektiven genießen, die einer echten F1-Übertragung ähneln.

Mehr Kontrolle darauf, wie jeder einzelne Spieler sein Rennerlebnis gestalten will, das war immer schon eine große Stärke der F1-Serie von Codemasters. Und wir freuen uns wirklich, dass diese Stärke noch weiter ausgebaut wird. So erhält jeder die Möglichkeit, das Spiel nach seinem Stil und seinem angestrebten Anspruchs-Level zu aufzubauen. Klasse!

Neu in diesem Jahr sind die Optionen für den Einstiegsstatus. Damit können wir selbst entscheiden, auf welchem Status wir in die Karriere einsteigen möchte. Wollen wir ein Newcomer sein, der mit wenig Geld und einem unerfahrenen Team startet und höchstwahrscheinlich der Konkurrenz erst einmal hinterherfahren wird, oder entscheiden wir uns dafür, ein erfahrener Fahrer zu sein, der sich bereits einen gewissen Namen verdient hat und im Mittelfeld mithalten kann. Oder vielleicht wollen wir direkt als Star-Fahrer einsteigen, der mit allen Wassern gewaschen ist und sofort um den Titel fahren kann.

Mit dem Fotomodus lassen sich im Rennen hübsche Aufnahmen schießen.

Im Rennkalender lassen sich auch einige Neuerungen finden. Interlagos feiert in diesem Jahr sein Comeback und mit dem anspruchsvollen Miami Circuit ist auch eine völlig neue Strecke vertreten. Ebenfalls von Codemasters berücksichtigt wurden die umgebauten Streckenabschnitte in Barcelona, Melbourne und Abu Dhabi. Melbourne wurde dabei sogar per Laser-Scan abgetastet und somit so realitätsnah wie noch nie ins Spiel gebracht.

Ein neues Fahrgefühl

Und wie fühlen sich die rundum neuen F1-Boliden auf der Rennstrecke an? Wir müssen sagen, dass Codemasters hier einen fantastischen Job gemacht hat, die Änderungen aus der realen Welt der Formel 1 auf das Spielgefühl zu übertragen.

Der offensichtlichste Unterschied ist die deutlich höhere Trägheit beim Lenken durch die Kurven. Es fällt uns nun schwerer, unser Auto auf der Strecke zu halten, wenn wir mit hohen Geschwindigkeiten in die Kurve gehen. Das ist vor allem dem deutlich höheren Gewicht geschuldet, die die Autos nach den neuen Reglements mit sich bringen. Mehr Fingerspitzengefühl ist auch bei langsamen und engen Kurven gefragt. Denn die Karosserie ist zudem auch länger, breiter und die größeren und schwereren Reifen gestalten das Einlenken ebenso herausfordernder.

Auch beim Überfahren von Kerbs ist Obacht angesagt. Das Fahrzeug liegt deutlich tiefer als noch in der Saison 2021, wodurch es anfälliger für Unebenheiten wird.

Auf der PS5 erleben wir den Vorteil, dass uns der Dualsense ein sehr überzeugendes Gefühl für unser Auto liefert. Die Vibrationen des Controllers sind von Codemasters so feinfühlig eingesetzt worden, dass wir immer spüren können, wie sich unser Auto auf der Strecke verhält. Und das ist kein reines Gimmik – der Dualsense kommt dem allgemeinen Gameplay zugute. Etwa wenn wir spüren, dass uns durch fehlende Traktion der Wagen droht wegzurutschen, dann wissen wir, dass wir unseren Fahrstil etwas vorsichtiger gestalten müssen. Oder aber, wenn wir merken, dass wir einen bestimmten Kerb zu scharf angeschnitten haben und selbst bei einsetzenden Regen erlangen wir ein besseres Gefühl dafür, wann es Zeit ist, in die Box zu fahren und die Intermediates aufziehen zu lassen.

Grafik & Sound
VR-Mode und FIFA-Musik

Rein optisch hat sich in F1 2022 im Vergleich zum Vorgänger nichts spürbar verändert. Auf den Konsolen bekommen wir ein scharf aufgelöstes Bild mit stets sehr flüssigen Frames spendiert, was in einem Rennspiel wohl eines der wichtigsten Elemente darstellt. Erfreulich ist aber, dass sich Codemasters sichtlich Mühe gegeben hat, die rundum neu designten Automodelle allesamt sehr detailgetreu ins Spiel zu bringen und auch die Änderungen der realen Strecken mit hineinintegriert hat.

Fahren in der Cockpit-Perspektive: Für das Maximum an Immersion.

Die größte technische Neuerung stellt wohl der VR-Support für den PC dar. Wer über ein Occulus Rift 2, ein HTC Vive oder ähnliche Modelle verfügt, erlebt das Renngeschehen so immersiv und echt wie noch nie. Ein Support für Sonys PlayStation VR ist derzeit nicht geplant.

Beim Thema Musik ist die Annäherung an EA-Sports wohl am deutlichsten zu spüren. Vorbei sind die Zeiten, in denen die F1-Serie mit zurückhaltender Musikuntermalung geglänzt hat. Der diesjährige Soundtrack versprüht FIFA-Feeling und haut uns jede Menge Elektro, Dubstep, Techno und Hip-Hop Songs um die Ohren. Das dürfte nicht jedem F1-Fan gefallen.

Das Sound-Design macht einen wirklich überzeugenden Eindruck und liefert uns die charakteristischen Motorengeräusche der F1-Boliden in nie dagewesener Wuchtigkeit und Authenzität. Dabei lässt sich auch ein deutlich hörbarer Unterschied zwischen den vier großen Motorenherstellern Renault, Ferrari, Red Bull und Mercedes feststellen. Auch klasse gelungen ist, wie uns der Fahrtwind bei hohen Geschwindigkeiten hörbar um den Helm saust.

Multiplayer
Für jeden etwas dabei

F1 2022 bietet neben dem klassischen Multiplayer mit bis zu 22 Spielern auch noch den Koop-Mode an, in dem bis zu zwei Spieler im Karriere-Modus gemeinsam und gegeneinander um den Titel fahren dürfen. Des Weiteren bietet die Königsklasse einen Generationsübergreifenden Online-Modus. Das heißt: Egal ob ein Freund noch auf einer PS4 zockt, während wir schon auf einer PS5 fahren – das tut dem gemeinsamen Spielspaß keinen Abbruch.

In Melbourne bestreiten wir ein erbittertes Rennen und belegen am Ende Platz 7.

Selbst ein Offline-Splitscreen für bis zu zwei Spieler ist mit an Bord. Was besonders die Couch-Koop-Spieler freuen dürfte.

Mit einem späteren Update verspricht Codemasters auch den Crossplay-Multiplayer zu integrieren, mit dem PlayStation-, Xbox- und PC-Spieler alle bunt gemischt gemeinsam die Reifen qualmen lassen.

Fazit
Dramatik, Atmosphäre und ein echt gutes Renngefühl mit vielen Anpassungsmöglichkeiten

Codemasters hat die Faszination, die von der Formel 1 ausgeht, verstanden und beweist jede Menge Leidenschaft, das Fahrgefühl und die Dramatik der Königsklasse überzeugend ins Spiel zu integrieren.

Die neuen Regeln stellen den Rennsport derzeit auf den Kopf und auch als Spieler merkt man schnell, dass von den angepassten Autos ein veränderter Charakter ausgeht. Sie liegen schwerer in den Kurven und verlangen uns mehr Fingerspitzengefühl ab. Dabei will das Spiel dem Feeling bei einer TV-Übertragung möglichst nahekommen und stellt uns sogar vor die Herausforderungen, dass unsere Boliden ein unvorhergesehenen Ausfall erleiden.

Die umfangreichen Anpassungsmöglichkeiten sind die vielleicht größten Stärken von F1 2022. So kommt praktisch jeder Spieler auf seine Kosten und erlebt ein Spiel, das ihm Spaß macht. Will man F1 als leicht zugänglichen Arcade-Racer erleben oder als beinharte Simulation? Oder vielleicht entscheidet man sich für die schier endlosen Abstufungen zwischen beiden Extremen? Es liegt an jedem selbst.

Ein Streitwert sind die integrierten Supercars und der dazugehörige Herausforderungsmodus. Der wartet mit zahlreichen Missionen auf, die unser Können mächtig auf die Probe stellen – aber möchte ich in einem F1-Titel Sportwagen steuern? Die Antwort auf diese Frage sei jedem selbst überlassen.

F1 2022 ist das vielleicht vielseitigste Rennspiel, dass man kaufen kann und bietet nicht nur jedem Spieler jede Menge Freiheiten, es so zu spielen, wie man möchte – Der Racer schafft es auch hervorragend die diesjährige Saison mit all seinen Neuerungen und Herausforderungen glaubwürdig abzubilden.

Formel 1 Fans werden sich den Titel sowieso holen, aber auch Anfänger müssen sich nicht scheuen, einen ernsthaften Blick zu riskieren.

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