Entwickler Neowiz und Publisher THQ veröffentlichen mit Lies of P einer der größten Hoffnungsträger auf das beste Soulslike des Jahres 2023. Ob dieses Vorhaben gelungen ist und es sich lohnt, mit Puppen-Maschine Pinocchio durch die dunklen Gassen Krats zu streifen und Antworten darauf zu finden, was einen richtigen Menschen ausmacht, erfahrt ihr im Test.
Ersteindruck
Eine Lüge ist eine Waffe, die an beiden Seiten schneiden kann
Die Geschichte von Pinocchio gehört wohl zu den meisterzählten aller Zeiten. In Büchern, Spielfilmen, als Zeichentrick, Stop-Motion-Film und unzähligen weiteren Adaptionen, haben wir schon einmal das Schicksal von der Holzpuppe gehört, die davon träumt, ein echter Mensch zu sein. Nun hat sich die asiatische Spieleschmiede Neowiz sogar daran gemacht und transportiert die Geschichte des Schriftsellers Carlo Collodi in die virtuelle Welt der Videospiele. Lies of P ist ein knallhartes Action-Spiel, dass den weltberühmten Stoff um Pinocchio aufgreift und ihm so manch düstere Wendungen beschert. In Lies of P tritt Pinocchio als stattlicher Bursche im Teenager-Alter auf, der in Wahrheit eine mechanische Puppe in einer unheilvollen Steampunk-Welt ist. Der Kern der Story setzt sich vor allem damit auseinander, was es heißt, ein Mensch zu sein.
Als Pinocchio oder „P“ begegnet man im Laufe der Geschichte mehreren Menschen in Not, und man kann entscheiden, wie man auf sie reagiert. Lügen werden in diesem Fall nicht gemacht, um unausstehlich oder bösartig zu sein, sondern sind eher Notlügen; es sind Unwahrheiten, die die Menschen in ihrer Not sanft beschwichtigen sollen, im Gegensatz zu härteren Wahrheiten. Lügen haben die Tendenz, P dazu zu bringen, menschlicher zu handeln und sich von Gefühlen und Mitgefühl leiten zu lassen.
Auch der weitläufige Schauplatz des Spiels ist in dieser Hinsicht hilfreich. Das Abenteuer finden in der Stadt Krat statt, die einst ein leuchtendes Beispiel für den technologischen Fortschritt war und nun aufgrund einer Katastrophe nahezu verlassen ist. Alchemisten und Erfinder, wie P´s Vaterfigur Geppetto, begannen mit der Herstellung von Puppen, um den menschlichen Bewohnern der Stadt zu helfen. Dies brachte eine Ära des Wohlstands mit sich, die einer utopischen Gesellschaft glich, doch dann kam alles ganz anders und die Idylle glich dem gleichen katastrophalem Verlauf wie wir es bereits in Bioshock und Terminator durchlebt haben: Die Schöpfungen wandten sich gegen die Bevölkerung. Jetzt ist P eine der letzten Puppen, die noch nicht von diesem Wahnsinn eingeholt wurden und versucht, diejenigen zu bekämpfen, die zu Mord und Zerstörung getrieben wurden.
Während wir die Stadt erkunden, werden wir immer mehr Brotkrümelspuren entdecken, die uns dazu bringen, die Geheimnisse von Krat weiter zu erforschen. Es gibt ein paar Nebenquests, bei denen NSPs uns bitten, einen Gegenstand zu finden, sowie Rätsel, die uns mit Trinity-Schlüsseln belohnen, die verborgene Räume aufschließen. Ebenso können wir kryptische Gefäße erhalten, mit denen man die Hinweise auf einen Ort entschlüsseln kann. Von dort aus besuchen wir die eleganten Gebäude und Ausstellungen von Krat, die mit einem Steampunk-Flair ausgestattet sind, sowie dunkle Höhlen und düstere Sümpfe.
Gameplay
Ganz schön schwer, oft motivierend und manchmal etwas unfair
Was das Gameplay angeht, so trägt Lies of P seine Dark Souls- und FromSoftware-Inspiration auf der Zunge. Zunächst verdienen wir eine Währung namens Ergo, mit der sich die Werte von P verbessern oder verschiedene Gegenstände kaufen lassen. Wenn unser Charakter stirbt, verlieren wir unser gesamtes Ergo und müssen zum vorherigen Ort zurückkehren, um es zurückzuholen.
Außerdem liegt der Schwerpunkt eindeutig auf langsames und methodisches Kämpfen (zumindest von Seiten unseres Charakters), bei dem gut getimte Blocks und Ausweichmanöver helfen, zu überleben, während man bei aggressiven Taktiken oft Gefahr läuft, getroffen zu werden. Natürlich gibt es Lagerfeuer, die als Schnellreise- und Speicherpunkte dienen und als Stargazer bekannt sind.
Wenn wir uns in die Stadt Krat wagen, erwarten uns feindselige Puppenspieler, böse Clowns, Stalker (Menschen, die die Puppen eliminieren wollen) und eine Reihe von Endgegnern, wie man es von einem Soulslike erwarten würde. Ein Beispiel ist der gefallene Erzbischof Andreus, in dessen zweiter Phase wir gegen seine Vorder- (ein tollwütiges Monster) und Rückseite (eine humanoide Figur, die als Skorpionschwanz fungiert) kämpfen müssen. Außerdem gibt es noch Laxasia die Vollkommene, eine Puppenkriegerin die Blitze verschießt und Kings Flame Fuoco, ein Roboter mit einem Kessel als Bauch, der Öl und Feuerbälle spuckt.
Alles in allem stellen die Bosse des Spiels eine beachtliche Herausforderung dar, die wir sehr genossen haben. Es war befriedigend, die Angriffsmuster eines Endgegners zu lernen und lohnend, ihn schließlich zu besiegen. Außerdem reichte das Design der Gegner und vor allem der Bosse von gruselig und unheimlich bis makaber und grotesk.
Das Statussystem lehnt sich ebenfalls stark an das an, was man von diesem Genre erwarten kann. Vitalität, Stärke und Max. Ladung (Gewicht) sind selbsterklärend, während andere wie Entschlossenheit, Technik und Fortschritt die Waffenskalierung beeinflussen. In unserem Fall haben wir uns für Entschlossenheit entschieden, die mit Stärke vergleichbar ist, da sie große und langsame, aber schlagkräftige Waffen verbessert. Außerdem haben wir später in der Kampagne die Möglichkeit des Umskillens freigeschaltet, sodass wir verschiedene Builds nach individuellem Geschmack ausprobieren konnten.
Das Spannende an Lies of P ist, dass es einige interessante und einzigartige Mechaniken hat, die wirklich etwas Neues bieten und dem Spiel helfen, sich von einer bloßen Dark Souls-Kopie abzuheben. Erstens gibt es die P-Organ-Upgrades, die mit einem passiven Fertigkeitenbaum vergleichbar sind. Es gibt sowohl größere Passiva (wie eine erhöhte Anzahl von Heilungsinjektoren und die Möglichkeit, mehr Amulette in den Ausrüstungsplätzen zu tragen) als auch kleinere Passiva zu erhalten. Dabei handelt es sich um kleinere Upgrades, wie z. B. eine erhöhte Anzahl von Verbrauchsmaterialien und ein verbesserter Schaden der Waffenfertigkeiten.
Zweitens gibt es Legionswaffen, Geräte, die als Unterstützungswaffen fungieren und bei P physisch gegen neue Waffen mit neuen Fähigkeiten ausgetauscht werden können. Diese fügen dem Waffenarsenal eine fantastische Vielfalt hinzu, ohne die Hauptklingen, Speere und Streitkolben zu ersetzen. Zum Beispiel können Flammenwerfer, Minen, Blitzschläge und sogar ein Scorpion-ähnlicher „get over here!“-Greifzug auf P ausgerüstet werden. Unser Favorit ist jedoch Aegis, das einen kleinen Schild aufrichtet, der Angriffe mit einer Explosion ablenken kann.
Im Zusammenhang mit diesen zentralen Kampfmechaniken können die Klingen und Griffe vieler Waffen miteinander verbunden werden, um einzigartige Kombinationen von Fähigkeiten zu schaffen. Es ist auch möglich, die Skalierung ihrer Werte zu erhöhen oder zu verändern. So kann bei einer Waffe, die bisher eine niedrige Skalierung für Entschlossenheit/Stärke aufwies, dieser Wert weiter verbessert werden. Alternativ kann sie auch zu einer Technik/Geschicklichkeits- oder Fortschritts-/Intelligenz-Waffe aufgewertet werden.
Die Kurbelgegenstände, die diese Modifikation ermöglichten, gibt es im Spiel in Hülle und Fülle zu finden. Und es erweist sich als raffiniertes Konzept, da wir so unsere Werte sehr genau auf unseren Spielstil abstimmen können.
Bedauerlicherweise ist Lies of P kein perfektes Soulslike und hat einige kleine Schwächen. Dazu gehört vor allem der defensiv ausgerichtete Kampf. Standard-Blocks führen zu einem teilweisen Verlust von HP, die jedoch wiederhergestellt werden können, während perfekt getimte Ausweichmanöver und Blocks den Schaden vollständig neutralisieren.
Sowohl das Ausweichen als auch das Blocken von Angriffen sind in Soulslike-Spielen gang und gäbe. Das Problem ist, dass es in Lies of P mehrere Gegner und Bosse gibt, die zwischen fünf und zehn schnellen Angriffsschwüngen als Teil ihrer Kombo-Kette ausführen. Das führte zu Situationen, in denen wir nicht jeden Angriff blocken oder ausweichen konnten, da es einfach zu viele waren und es unmöglich gewesen wäre, jedes Muster zu erkennen. Da wir uns auf Entschlossenheit und das Führen von langsamen, aber schlagkräftigen Waffen konzentriert haben, waren wir in späteren Abschnitten des Spiels eher im Nachteil.
Noch schlimmer ist, dass es anscheinend keine Gleichgewichtsmechanik oder einen Wert gibt, der verhindert, dass der Charakter ins Taumeln gerät. Obwohl wir schwere Waffen und tonnenschwere Ausrüstungsgegenstände trugen, brachten uns weiterhin alle gegnerischen Angriffe ins Taumeln, egal, ob wir mit einer großen Waffe schwer beladen waren oder praktisch nichts trugen. Man stelle sich vor, man schwingt einen riesigen Hammer oder ein Stachelbrett und wird dann von einem Schlag eines einfachen Puppenbutlers und seinem Rapier unterbrochen.
Zusätzlich zu den oben genannten Problemen, verfügt das Spiel über eine Betäubungsmechanik, die auf größere Mobs und Bosse angewendet wird. Sobald wir genug Schaden angerichtet oder perfekte Blocks ausgelöst haben, wird eine Anzeige eingeblendet. Wir müssen dann einen aufgeladenen Angriff oder eine Fabel (eine Waffenfertigkeit) einsetzen, um unser Ziel vollständig zu betäuben, es zu Boden zu bringen und uns zu ermöglichen, einen verheerenden Schlagabtausch durchzuführen.
Der Nachteil ist, dass der zusätzliche Schritt, einen aufgeladenen Angriff oder eine Fabel auszuführen, bedeutet, dass wir immer noch anfällig für einen Gegenangriff sind oder getroffen werden können. Die Betäubung hält nicht sehr lange an, es sei denn, sie wird weiter verbessert. Wenn wir eine Angriffsmöglichkeit verpassen, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass wir keine weitere bekommen, bis wir genug Schaden angerichtet oder genug geblockt haben, um die Anzeige wieder erscheinen zu lassen.
Das macht diese Mechanik unglaublich riskant. Wir hätten es vorgezogen, wenn diese mächtigen Schläge sofort zur Verfügung gestanden hätten, sobald man die Deckung des Gegners durchbrochen hat, anstatt dass man erst einen weiteren Angriff ausführen muss. Das hohe Risiko, das damit verbunden ist, muss einen lohnenden Haken haben, aber in seiner jetzigen Form ist es nur eine weitere angehängte Herausforderung zusätzlich zu der erwarteten Schwierigkeit, die mit einem Soulslike einhergeht.
Grafik & Sound
Opulenter Walzer in dunklen Gassen
Die PS5 und Xbox Series X Versionen von Lies of P verfügen über drei unterschiedliche Grafikeinstellungen. Da wäre zum einen der Leistungsmodus, der 60 Bilder pro Sekunde liefert. Das Bild wird dabei in nativen 1080p ausgegeben, die gleichzeitig auf 2160p hochskaliert werden. Zum anderen ist da noch der Qualitätsmodus, der das Bild in 1440p ausgibt, das anschließend ebenso auf 2160p skaliert wird. Allerdings läuft in dieser Einstellung das Spiel nur mit 30 Bildern pro Sekunde.
Wer über einen Fernseher verfügt, der Variable Refresh Rate (VRR) beherrscht, kann sich zudem über einen dritten Grafikmodus freuen, der die Grafik des Qualitätsmodus übernimmt und sie mit 40 Bildern pro Sekunde ausgibt, um ein geschmeidigeres Spielerlebnis zu erzielen.
Der Soundtrack von Lies of P gehört zu den eindrucksvollsten des Spielejahres 2023 und mischt orchestrale Klänge gezielt mit Violinen, Klavieren und Akkordeons. Auch verspielt wirkende Walzer und melancholische Jazz-Anleihen gesellen sich in das Musik-Portfolio und runden die düstere Atmosphäre des Spiels thematisch ab. Die Vertonung beschränkt sich auf eine englische Sprachausgabe mit deutschen Untertiteln.
Fazit
Geschmeidige Kämpfe, nahtlose Erkundung und eine spannende Story – Lies of P gehört zu den Top-Titeln 2023!
Lies of P trägt den Mantel von Bloodborne, aber es hat sein eigenes Herz, das in Metall gehüllt ist und von Einfallsreichtum angetrieben wird. Das Spiel orientiert sich manchmal zu seinem Nachteil zu stark an den Vertretern seines Genres, überzeugt aber dennoch durch die schiere Qualität seiner Bosskämpfe, Kampfmechaniken und des Weltdesigns. Das stählerne Herz von Lies of P ist vielleicht nicht aus Blut und Fleisch, aber es pumpt immer noch kräftig genug, um einer der Glanzstücke unter den Soulslike zu sein.
Wenn man dann noch die großartige Grafik, das hervorragende Weltdesign, das fantastische Sounddesign und die fesselnde Geschichte hinzunimmt, hebt sich das Erlebnis von vielen seiner Zeitgenossen ab. Alles in allem ist Lies of P zwar im Wesentlichen ein Bloodborne mit einem Protagonisten, der aussieht wie Timothée Chalamet, aber es tut mehr als genug, um sich als einzigartiger Titel auszuzeichnen, der unsere Zeit mehr als wert ist – und das ist ganz bestimmt keine Lüge.
Lies of P ist ab sofort für PS4, PS5, Xbox Series S/X, Xbox One und PC erhältlich.
- Spiele als Pinocchio, eine mechanische Marionette, und kämpfe dich durch alles, was dir im Weg steht, um den berühmten Erfinder Gepetto zu finden. Löse das Geheimnis, was mit dir und der weitläufigen Stadt Krat passiert ist. Aber erwarte keine Hilfe auf deinem Weg, eine Vielzahl von Charakteren, sowohl Freund als auch Feind, haben alle ihre eigenen Motivationen
- Erlebe zusammenhängende Quests, die sich je nachdem, wie und wann du lügst, unterschiedlich entwickeln. Je mehr du lügst, desto menschlicher wirst du, aber das Lügen hat auch Auswirkungen auf deine Interaktionen mit NSCs, die Art der Feinde, denen du begegnest, und die Stadt Krat um dich herum
- Mit einem umfangreichen Crafting-System können Sie Waffen auf vielfältige Weise kombinieren, um etwas völlig Neues zu schaffen. Jede Waffe kann zerlegt und mit verschiedenen Effekten ausgestattet werden. Durchsuche die Stadt, um die besten Kombinationen zu finden und etwas wirklich Besonderes zu schaffen