Die Tokio RPG Factory und Square Enix hab kürzlich das klassisch anmutende Lost Sphear veröffentlicht. Wir haben es für euch ausführlich getestet und verraten euch, ob es sein Geld wert, oder eher zum vergessen ist.
Ersteindruck
Nach einem seltsamen Traum wacht Kanata, der Held unseres Abenteuers, in seinem Bett auf und muss schon nach den ersten Minuten mit seinen Freunden in einen angrenzenden Wald um nach dem Rechten zu sehen, nu um danach herauszufinden, dass er der große Held mit einer besonderen Gabe ist, der als einziger die Welt vor dem „Vergessen“ retten kann…
Der Anfang von Lost Sphear klingt ähnlich wie in jedem anderen X-beliebigen Rollenspiel. Zwar ganz nett, aber nichts, was man als frische Idee oder Besonderheit gegenüber anderen Genrevertretern bezeichnen könnte.
Beim ersten Hinsehen fällt sofort auf, dass Lost Sphear sich stark an den klassischen Rollenspielen der 90er Jahre orientiert. Klassisches Gameplay, minimalistische Präsentation und Textboxen in Hülle und Fülle. Kids der 90er werden sich zwar direkt in die „gute alte Zeit“ zurück versetzt fühlen und das ein oder andere Nostalgietränchen verdrücken müssen, aber dieser erste Anflug von Nostalgie dürfte nur von kurzer Dauer sein.
Schon nach den ersten Stunden fällt auf, dass Lost Sphear trotz interessanter Geschichte mit einer extrem zähen Erzählweise daherkommt, die das Spielgeschehen wie Kaugummi in die Länge zieht und dabei nur selten wirkliche Highlights zu bieten hat. Der erste Eindruck ist daher leider durch und durch mittelmäßig.
Gameplay
Das Gameplay ist, genau wie der Rest des Spiels, eher klassisch gehalten und kommt ohne große Experimente aus. Die Kämpfe sind dabei rundenbasiert und setzen auf Taktisches und strategisches Vorgehen. Habt ihr euren Charakter und seine Aktion gewählt positioniert ihr ihn möglichst gut, um so viele Gegner wie möglich gleichzeitig zu erwischen. Dabei gilt es allerdings auch ein wenig darauf zu achten, wie eure anderen Gruppenmitglieder auf dem Schlachtfeld verteilt sind. Stehen z.B. alle auf einem Haufen, kann auch der Gegner mehrere Charaktere gleichzeitig angreifen. Im schlimmsten Fall rafft es dann die komplette Gruppe mit einem mal dahin.
Was die Wahl eurer Fähigkeiten angeht, hab ihr diverse Optionen. Ihr könnt Standardangriffe nutzen, welche ihr bei der Benutzung auch aufladet, um nach eine paar Runden eine stärkere Version davon einsetzen zu können. Hierzu ist aber ein wenig Timing gefragt. Ihr löst mit einem gut getimten Druck auf die Viereck-Taste dann einen stärkeren Standardangriff aus.
Darüber hinaus stehen allen Charakteren auch spezielle Skills zur Verfügung. Diese können über das simple Ausrüstungssystem „angelegt“ werden und mit speziellen Items sogar noch mit zusätzlichen Effekten versehen werden.
Dazu gesellen sich natürlich noch Rollenspiel typische Ausrüstungen wie Waffen und Rüstungen, die bei einem Schmied auch verstärkt werden können, sofern ihr die nötigen Materialien dafür besitzt. Diese könnt ihr, wie alles anderen auch, entweder von Gegnern erbeuten, oder auch beim Händler eures Vertrauens kaufen.
Insgesamt sind das Gameplay und die Mechaniken zwar nicht sehr spektakulär, funktionieren aber außerordentlich gut, bieten trotz ihrer Einfachheit viele Kombinations- & Variationsmöglichkeiten und wirken durchdacht und sinnvoll umgesetzt.
Grafik / Sound / Technik
Grafisch kann das Spiel mit seinem klassischen Ansatz durchaus punkten. Der etwas minimalistische Stil passt zum Setting und ist mir tausend mal lieber als aufgeblasene Grafik, die das Spiel optisch womöglich völlig überladen hätte.
Allerdings hätte ein wenig mehr Feinschliff dem Spiel optisch nicht geschadet. Die Animationen wirken hölzern und Puppenhaft, die Umgebungen sind etwas leblos und schon nach kurzer Zeit tauchen bereits bekannte Gegner nur noch in recycelter Form erneut auf.
Der Soundtrack hingegen ist äußerst gut gelungen. Die Musik ist wunderschön und schafft es wunderbar, die Atmosphäre eines klassischen Rollenspieles der 90er zu erzeugen. Zwar ist die Stimmung hier und da nicht zu 100% getroffen, aber insgesamt wertet die Musik das Spiel wunderbar auf.
Bei den Soundeffekten ist das allerdings weniger gut gelungen. So ziemlich alle Geräusche und Sounds klingen, als hätte man sie schon 1000 mal in anderen Spielen gehört. Das führt leider dazu, dass Lost Sphear zu sehr wie etwas bereits bekanntes rüberkommt und zu wenig wie etwas wirklich neues und eigenes.
Da es bei meinem Spieldurchgang keine technischen Macken oder Pannen gab, die man also solche hätte erkennen können, kann man rein technisch nichts weiter bemängeln.
Im ersten Moment scheint das Spiel einen beachtlichen Umfang zu bieten und viele Stunden feinste Rollenspielunterhaltung bereit zu halten. Auf den zweiten Blick sieht das allerdings schon wieder ganz anders aus. Unzählige Dialoge in Textboxen, die sich wie Kaugummi in die Länge ziehen, ein zwar ganz netter aber doch irgendwie flach geratener Humor, stereotype Charaktere aus dem 08/15 RPG-Katalog (der liebenswerte Trottel, der vom Schicksal auserwählte Held, die beste Freundin aus der Kindheit …) und eine zwar ganz interessante Geschichte über Erinnerungen, Gefühle und ein nicht ganz so böses Imperium, die allerdings weit hinter ihren Möglichkeiten bleibt.
Die Geschichte von Lost Sphere kann man in ein paar kurzen Sätzen zusammenfassen:
In der Welt verschwinden Personen, Orte und sogar ganze Städte und Ozeane und lassen weiße Flächen zurück. Darüber hinaus bleiben Erinnerungen zurück, die ihr z.B. von Monstern erhaltet und/oder in der Spielwelt findet. Einige spezielle Erinnerungen könnt ihr aber auch in Gesprächen sammeln, oder beim Lesen von Büchern finden. Diese besonderen Erinnerungen dienen z.B. dazu, Artefakte auf der Weltkarte zu errichten und damit die verloren gegangenen Gebiete zurück zu holen. Die Artefakte haben darüber hinaus Einfluss auf das Gameplay. Je nachdem welches Artefakt ihr baut, könnt ihr z.B. schneller über die Weltkarte laufen, erhaltet eine Minikarte, oder bestimmte Boni im Kampf. Klingt im ersten Moment vielleicht etwas kompliziert, ist aber im Grunde sehr einfach gehalten.
Die Geschichte hat eigentlich das Potential um nicht nur interessant erzählt, sondern auch inszeniert zu werden. In diesem Punkt hat Lost Sphear allerdings seine wohl größte Schwäche. Dialoge werden in unzähligen Textboxen erzählt und teilweise so stark ausgeweitet, dass die Geschichte unglaublich zäh und künstlich gestreckt wirkt. Fast so, als wolle man einfach nur Spielzeit zusammenbekommen. Das stört nicht nur den Spielfluss, sondern schadet der Hauptgeschichte insofern, als dass man die Zusammenhänge und wichtigen Ereignisse irgendwann nicht mehr richtig erkennt und die gesamte Geschichte sich in ihrer Flut an unnötigem Kleinkram verliert und verheddert. Ab einem bestimmten Punkt wusste ich z.B. teilweise gar nicht mehr, warum ich jetzt ausgerechnet in diesen Dungeon musste, oder warum ich zum dritten mal den selben Weg über die Karte oder durch ein Gebiet mit Gegnern laufen sollte.
Fazit
Selbst für mich als Fan klassischer Rollenspiele ist Lost Sphear leider furchtbar mittelmäßig. Nicht nur weil das Spiel es in keinem Moment schafft den unvergleichlichen Charme alter Rollenspiele zu erreichen, sondern auch, oder vielleicht gerade weil man offenbar zu sehr ein klassisches Rollenspiel erschaffen WOLLTE. Es fehlt die (gefühlte) naive Leichtigkeit und das Gefühl von Unbeschwertheit, das fast alle der unvergessenen Klassiker ausmachen. In Lost Sphear wirkt alles irgendwie aufgesetzt und gezwungen.
Lost Sphear ist kein schlechtes Spiel, ist aber weit davon entfernt ein gutes zu sein. Für absolute Hardcore-Fans von Klassikern ist es sicher einen Blick wert, aber selbst die sollten kein Wunder erwarten.
Getestet wurde Version 1.30 auf der PlayStation 4 Pro.