Bereits vor fünf Jahren haben die unabhängigen Entwickler von Warhorse Studios mit ihren Visionen von Kingdom Come: Deliverance Aufsehen erregt. Das Leben und die Folklore des Mittelalters sollte möglichst realitätstreu eingefangen werden. Nach langer Entwicklungszeit ist das ambitionierte Projekt für die PS4 erschienen.
Ersteindruck
Kingdom Come: Deliverance ist ein waschechtes Rollenspiel, wie es im Buche steht, aber gleichzeitig bricht es mit vielen Gameplay-Elementen, die von vergangenen Genregrößen wie The Elder Scrolls, Dragon Age oder The Witcher geprägt wurden.
Wir werden ins Jahr 1403 verfrachtet. Genauer gesagt ins Königreich Böhmen, welches von König Wenzel IV. beherrscht wird. Dieser ist in ganz Europa nur als „Wenzel der Faule“ verschrien. Er besitzt keinerlei politisches Geschick, kein Interesse an seinem Volk und gestaltet seine Regentschaft auch sonst nicht besonders produktiv. Viel lieber vertreibt sich der König die Zeit mit privaten Interesse. Währenddessen befindet sich das Land in einer Schockstarre, den Menschen in Böhmen geht es merklich schlechter. Die Unzufriedenheit über den ignoranten König wächst und wächst. Wenzels Halbbruder Sigismund, seineszeichens Kurfürst von Brandenburg und König von Ungarn, stellt das komplette Gegenteil von Wenzel dar. Als geschickter Feldherr und mächtiges Staatsoberhaupt besitzt er viel Zuspruch in der böhmischen Bevölkerung. Die Schwäche seines Halbbruders nutzt Sigismund aus, um das Böhmische Königreich zu erobern und seinem nichtsnutzigen Halbbruder vom Thron zu stoßen.
Der Konflikt zwischen den beiden Adelsbrüdern ist keine Erfindung der Entwickler. Sie hat tatsächlich so stattgefunden. Innerhalb dieses historischen Rahmens setzt die Handlung von Kingdom Come Deliverance ein. Zuerst fällt auf, dass wir nicht etwa die Kontrolle eines mächtigen Kriegers bekommen. Kein muskelbepackter Ritter in strahlender Rüstung, auch kein sagenumwobenes Drachenblut wie in Skyrim oder ein geschickter Hexer im Stile Geralts von Riva. Nein, wir erleben den dramatischen Krieg in Böhmen durch die Augen von Heinrich, dem einfachen Sohn eines Schmiedes, der in einem unscheinbaren Dorf mitten im Königreich Böhmen lebt.
Die ersten Spielstunden stellen eine Art Prolog dar, indem wir spielerisch und fließend mit den Steuerungsmechaniken vertraut gemacht werden. Außerdem lernen wir Heinrich besser kennen und werden mehr und mehr in die cineastische Handlung von Kingdom Come: Deliverance hineingesogen. Am Anfang macht Heinrich den Eindruck eines etwas vorlauten und ungestümen Jungen, der noch nicht so recht erwachsen werden will. Er lebt ein bescheidendes, aber gutes Leben zusammen mit seiner Mutter und seinem Vater, der ein angesehener Waffenschmied ist. Heinrich drückt sich viel lieber vor Arbeit und Pflichten und hängt seinen eigenen Tagträumen nach. Doch als Sigismunds Armee einen Überraschungsangriff auf das böhmische Dörfchen startet, wird Heinrichs Leben aus den Angeln gerissen. Die brutalen kumanischen Söldner machen die Idylle dem Erdboden gleich und ermorden Heinrichs Eltern.
Uns bleibt nichts anderes übrig, als die Flucht zu ergreifen. Wir würden gern den Tod unserer Eltern rächen und unsere Heimat verteidigen, aber Heinrich ist nur ein einfacher junger Mann, der weder besonders Stark, noch besonders geschickt mit dem Schwert oder gar mit dem Bogen umgehen kann. Nicht einmal dem Lesen ist er mächtig. All diese Fähigkeiten werden wir auf unserer langen Reise erlernen – doch vorerst bleibt uns nur die Flucht, alles andere wäre reiner Selbstmord.
Gameplay
Während wir in anderen Rollenspiel-Vertretern direkt in die Action geworfen werden, beginnt Kingdom Come Deliverance sehr gemächlich. Das Spiel nimmt sich viel Zeit, uns an die Handlung und die Spielwelt heranzuführen. Wie erwähnt sind wir keine wandelnde Kampfmaschine. Wir müssen uns unsere Erfahrung und unsere Fähigkeiten mühsam verdienen. Durch zahlreiche Aktivitäten, Haupt- und Nebenquests haben wir die Chance, aus Heinrich einen tapferen Krieger zu machen. Wenn wir viel zu Fuß unterwegs sind, verbessert sich beispielsweise unsere Agilität. Im Kampf bauen wir unser Geschick mit Schwert und Bogen aus und gewinnen obendrein an Stärke. Und so verhält es sich mit beinahe all unseren Fähigkeiten. Wer Tiere und Gegner lautlos zur Strecke bringt, steigert seine Schleichfähigkeit, wer vermehrt liest und schmiedet stärkt wiederum diese Fähigkeiten.
Diese Levelmechanik bettet sich hervorragend in die Welt von Kingdom Come: Deliverance ein und sorgt dafür, dass wir immer wieder angehalten sind, unser Vorgehen vielfältig zu gestalten – nur so entwickeln wir uns vom unbeholfenen Provinzler nach und nach zum tapferen Krieger. All das ist nicht nur wichtig, um in der Story voranzukommen, auch bei den Bewohnern Böhmens können wir durch Ertüchtigung mächtig Eindruck schinden. Die Dialoge nehmen in der Spielwelt durchaus einen wichtigen Anteil ein. Immer wieder drehen sich Quests darum, unsere Mitmenschen zu Überzeugen oder einzuschüchtern. Wenn wir ernst genommen werden wollen, müssen wir nicht nur an unseren Sprachfähigkeiten feilen, ein strahlendes Äußeres und eine selbstbewusstes Auftreten sind von großer Wichtigkeit. Wer hingegen als schwächliche Gestalt in schmutzigen Lumpen herumläuft, wird kaum ernst genommen.
Kindom Come: Deliverance spinnt seinen Anspruch einer realistischen Erfahrung aber noch weiter. So müssen wir etwa regelmäßig etwas essen, ansonsten hungern wir, worunter unsere Fähigkeiten leiden. Auch eine Mütze voll Schlaf müssen wir Heinrich einräumen, ansonsten werden seine Bewegungen zunehmend ungenau. Das Essen in unserem Rucksack verdirbt mit der Zeit, weshalb unser Proviant für längere Trips gut durchgeplant sein sollte. Die Schwertkampf-Mechanik ist ein weiteres Highlight. Diese steuert sich taktisch und komplex und ist dennoch sehr verständlich aufgebaut. Mit etwas Geduld gelingen uns so packende und abwechslungsreiche Schwertduelle. In ein Hau-Drauf-Gekloppe artet Kingdom Come: Deliverance jedenfalls nicht aus.
Nun haben wir so viele gute Worte über das Rollenspiel von Warhorse verloren. Dabei war und ist Kingdom Come: Deliverance unter Dauerbeschuss vieler Kritiker, die den Entwicklern vorwerfen ein unfertiges Spiel auf den Markt geworfen zu haben. Ein Spiel mit zahlreichen Fehlern, Systemabstürzen und Schwächen und das trotz eines Day-One-Patches von stattlichen 23 Gigabyte Größe. An dieser Stelle müssen wir viele dieser Vorwürfe bestätigen. Leider! Denn Kingdom Come: Deliverance macht verdammt vieles richtig und traut sich, das Rollenspiel-Genre mit vielen kleinen Innovationen einen neuen Anstrich zu verpassen.
Viele Gespräche mit den Bewohnern wirken oft sehr künstlich und wenig spannend. Das ist den hölzernen Animationen geschuldet, die nicht mehr zeitgemäß erscheinen und absolut nicht in die ansonsten realitätsgetreue Welt passen. Die deutschen Sprechen sind hervorragend gewählt und besonders die Dialoge in den Hauptquests wirken äußerst vielschichtig und gut geschrieben, getrübt wird das allerdings von den asynchronen Lippenbewegungen und einer teils katastrophalen Tonabmischung, die dafür sorgt, dass Dialoge immer wieder unverständlich und leise wiedergegeben werden. Wenn eine Spielwelt mit so viel Liebe zum Detail erschaffen wurde, fällt es umso stärker auf, wenn an anderer Stelle sehr grob gearbeitet wurde. Solche Schnitzer lassen Kingdom Come: Deliverance unfertig wirken und trüben leider mitunter den Spielspaß.
Auch verhält sich die KI der Figuren in vielen Momenten haarsträubend dumm und unfreiwillig komisch. Zum Ärger des Ganzen häufen sich mit zunehmender Spielzeit mehr und mehr die Spielabstürze der PS4-Version. Die schöne Grafik wird durch sehr grobe Clipping-Fehler und starke Pop-Up Effekte kaputtgemacht. Texturen, Objekte, sogar ganze Gebäude und Burgen ploppen mitunter erst nach Sekunden hässlich ins Bild. In Zeiten, in denen andere Open-World Titel wie Assassins Creed: Origins oder Horizion Zero Dawn zeigen, wie wunderschön offene Welten aussehen können, dürfen solch grobe Schnitzer nicht passieren. Darüberhinaus erleben wir immer wieder Einbrüche der Framerate und viel zu lange Ladezeiten. Das unzuverlässige Speichersystem gibt uns letztlich den Rest. Wurde mein Spiel nun gespeichert oder nicht? Immer wieder mussten wir uns diese Frage stellen. Nur um dann beim nächsten Spielabsturz festzustellen, dass wir die vergangene Quest nochmal wiederholen dürfen, weil unser Spielstand eben nicht gesichert wurde.
Grafik / Sound
Zur Grafik und Sound haben wir bereits viele Aspekte aufgezählt. Optisch sieht die PS4 Pro Version von Kingdom Come: Deliverance recht hübsch aus. Besonders in den äußerst naturell gestalteten Wäldern zeigt sich die ganze optisch Stärke des Rollenspiels. Trotzdem bleibt die Konsolenfassung weit hinter der PC-Version zurück. Die Texturen sind matschig, die Performance ist mit den Framerate-Einbrüchen, starken, Pop-Ups und Clipping einfach zu fehlerhaft. Zudem sind die Animationen und die Gesichts-Mimiken sehr hölzern und wirken einfach nicht mehr zeitgemäß. Die Warhorse Studios scheinen die mächtige Cry-Engine nicht unter Kontrolle zu haben. Anders können wir uns diese Schwächen kaum erklären. Die Hardware-Power der PS4 Pro kann auch nicht glänzen. Kingdom Come: Deliverance läuft auf der PS4 Pro lediglich in 1080p und instabilen 30 Bildern pro Sekunde.
Auch der Sound ist ein zweischneidiges Schwert. Zum einen sind die deutschen Stimmen fantastisch gut gelungen und die Dialoge sind mitunter intelligent und vielschichtig ausgestaltet. Zum anderen ist die Tonabmischung und die Lippensynchronisation so katastrophal umgesetzt, dass wir uns kaum vorstellen können, dass das keinem der Verantwortlich aufgefallen ist. Die Umgebungssounds samt Soundtrack sind wiederum toll gelungen und unterstreichen die dramatisch-schöne Welt.
Umfang
Kingdom Come: Deliverance bietet mit seinem tollen Skill-System viel Platz für eigene Entfaltung. Das Abenteuer um Heinrich sollte langsam und mit Geduld genossen werden. Etwa 50 Stunden werden all jene ins Spiel investieren, die die Hauptquests und Nebenquests voll auskosten wollen.
Fazit
Kingdom Come: Deliverance besitzt unheimlich viele Stärken. Das beginnt mit der cineastischen Präsentation, die einen wie ein guter Film ins Spiel saugt und führt weiter im umfangreichen Levelsystem, dem wunderbar taktischen Schwertkämpfen und der detaillierten Spielwelt. Die spannende Hauptstory und die abwechslungsreichen Nebenquests könnten das Bild abrunden und aus dem ambitionierten Rollenspiel ein wahres Highlight im noch jungen Jahr 2018 machen.
Könnten…wären da nicht die unzähligen groben Performance-Probleme, Gameplay-Bugs, Spielabstürze und das unzuverlässige Speichersystem. Kingdom Come: Deliverance wirkt auch nach einigen großen Patches, die das Spiel schon durchlebt hat, immer noch sehr unfertig. Schade, denn im ambitionierten Projekt von Warhorse Studios schlummert ein ungeschliffener Diamant und eine innovative Spielerfahrung.
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