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[ TEST ] Amerzone: The Explorer´s Legacy – Leuchtturm und Legende

Wir folgen dem Ruf eines sterbenden Forschers ins mystische Amerzone, ein Land voller Geheimnisse und der legendären Weißen Vögel. Dieses Remake ehrt Benoît Sokals Erbe mit neuer Pracht, doch die Reise auf der PS5 ist nicht frei von technischen Stolpersteinen. Eine Expedition zwischen Faszination, Rätseln und einer Mechanik, die ihre Wurzeln nicht verleugnen kann.

Manchmal sind es die leisen Töne, die am längsten nachhallen. Amerzone: The Explorer’s Legacy für die PlayStation 5 ist solch ein Fall. Es handelt sich nicht um einen simplen Port oder ein oberflächliches Remaster, sondern um ein vollwertiges Remake des 1999 erschienenen Abenteuer-Klassikers, der als eines der frühen Werke des unvergessenen Benoît Sokal gilt, dem Schöpfer der gefeierten Syberia-Reihe. Entwickelt von Microids Studio Paris, tritt das Spiel an, um Sokals Vermächtnis einer neuen Generation zugänglich zu machen und gleichzeitig Veteranen eine Rückkehr in eine vertraute, aber neu gestaltete Welt zu ermöglichen.

Wir schlüpfen in die Rolle eines jungen Journalisten, dessen Auftrag uns direkt in die melancholische Welt des sterbenden Forschers Alexandre Valembois führt. Dessen letzter Wunsch ist zugleich unsere Mission: Wir sollen ein Ei der mythischen Großen Weißen Vögel, das er vor Jahrzehnten aus dem titelgebenden Amerzone entwendete, zurück an seinen Ursprungsort bringen. Amerzone selbst wird als ein vergessenes, von der Natur zurückerobertes Land in Lateinamerika beschrieben, gezeichnet von einer blutigen Diktatur und voller Geheimnisse. Die Legende besagt, dass diese seltsamen Vögel in der Luft geboren werden und sterben, ohne jemals zu landen. Unsere Aufgabe ist es, diese Spezies vor dem Aussterben zu bewahren.

Die ersten Spielminuten fangen diese Prämisse atmosphärisch ein. Wir erkunden Valembois‘ Leuchtturm an der Küste der Bretagne, lauschen seinen Erzählungen, stöbern in seinen alten Aufzeichnungen und entdecken schließlich das Hydrafloat – ein wundersames Gefährt, das sich sowohl zu Wasser als auch in der Luft fortbewegen kann und unser Schlüssel zur Reise ins Ungewisse ist. Sofort stellt sich ein Gefühl von Mysterium und Abenteuerlust ein, unterlegt von einer spürbaren Melancholie.

Es ist mehr als nur eine Jagd nach einem Fabelwesen; es ist eine Auseinandersetzung mit der Vergangenheit. Valembois‘ Bedauern über seine Taten und die potenziell kolonialistischen Fehler seiner Expedition schwingen von Beginn an mit. Wir sind nicht nur Entdecker, sondern auch Erben einer Bürde, beauftragt, die Fehler der Vergangenheit zu korrigieren. Diese thematische Tiefe verleiht dem Abenteuer von Anfang an ein Gewicht, das es von reinen Rätselspielen abhebt und eine nachdenkliche Grundstimmung etabliert. Das Versprechen einer „Ode an die Erkundung und Entdeckung“ in einer Welt, die Realismus und Poesie vereint, wird greifbar.

Wie setzt Amerzone dieses Versprechen einer Entdeckungsreise spielerisch um? Kern des Erlebnisses ist eine klassische Point-and-Click-Struktur, präsentiert aus der Ego-Perspektive. Anders als in modernen Erkundungsspielen bewegen wir uns nicht frei durch die Welt. Stattdessen navigieren wir zwischen fest definierten, statischen Aussichtspunkten oder Szenen. Die Fortbewegung erfolgt durch das Anwählen von Hotspots, die uns dann per Übergangsanimation zum nächsten Punkt bringen. Diese Art der Navigation erinnert stark an Genre-Urväter wie Myst oder Riven und ist eine bewusste Designentscheidung, die den Wurzeln des Originals treu bleibt.

Die Interaktion mit der Umgebung geschieht ebenfalls nach bekanntem Muster, angepasst an den Controller: Wir neigen den Stick und drücken einen Knopf, um Objekte zu untersuchen, Gegenstände aufzunehmen oder Mechanismen zu bedienen. Das genaue Beobachten der Umgebung, das Lesen von Valembois‘ Tagebüchern und anderen Dokumenten sowie das Kombinieren von Hinweisen und Inventargegenständen stehen im Mittelpunkt, um die zahlreichen Rätsel zu lösen. Eine hilfreiche Funktion erlaubt es, per Knopfdruck alle interaktiven Punkte in der aktuellen Szene hervorzuheben, was das frustrierende ‚Pixel-Hunting‘ vergangener Tage vermeidet.

Die Rätsel selbst sind überwiegend logisch aufgebaut und erfordern Beobachtungsgabe sowie das Verständnis mechanischer Zusammenhänge. Das Remake begnügt sich hierbei nicht mit einer reinen Kopie des Originals. Viele Rätsel wurden überarbeitet, teils mit komplett neuen Lösungen versehen, und es wurden sogar gänzlich neue Herausforderungen hinzugefügt. Objekte im Inventar können nun detailliert in 3D gedreht und untersucht werden, was zusätzliche Hinweise offenbaren kann und die Interaktivität spürbar erhöht.

Um verschiedenen Spielertypen gerecht zu werden, bietet Amerzone zwei Schwierigkeitsgrade: ‚Traveler‘ ermöglicht ein entspannteres Erlebnis mit mehr Hilfestellungen und Fokus auf die Geschichte, während ‚Adventurer‘ erfahrenere Rätselfüchse stärker fordert. Ein progressives Hinweissystem kann zudem bei Bedarf aktiviert werden. Neu ist auch ein optionales Untersuchungssystem: Durch das Sammeln aller relevanten Hinweise zu bestimmten Themen schalten wir zusammenfassende Artikel unseres Journalisten frei, was die Welt vertieft, aber primär ein Sammelaspekt ist. Das bereits erwähnte Hydrafloat spielt eine zentrale Rolle und erfordert seinerseits das Lösen von Rätseln, um es zu betanken und zum nächsten Ziel zu navigieren.

Die Steuerung wurde modernisiert, unter anderem durch ein intuitives Radialmenü für das Inventar, und die Interaktionen fühlen sich generell flüssig an. Erfreulicherweise nutzt das Spiel auch die spezifischen Features des PS5 DualSense-Controllers. Haptisches Feedback und adaptive Trigger werden unterstützt, was die Immersion bei bestimmten Aktionen oder Umgebungsereignissen subtil verstärken kann, auch wenn die Implementierung vielleicht nicht übermäßig komplex ausfällt.

Das Spieltempo ist bewusst langsam und bedächtig, was die Immersion fördern soll, aber auch dazu führen kann, dass sich die Reise manchmal etwas gestreckt anfühlt. Um unnötiges Hin- und Herlaufen in größeren Gebieten zu vermeiden, lassen sich in den Hauptregionen Karten finden, die eine Schnellreisefunktion freischalten. Gespeichert wird automatisch und häufig – etwa alle fünf Minuten –, wobei drei Speicherplätze zur Verfügung stehen. Manuelle Speicherstände gibt es nicht, aber nach Abschluss des Spiels können einzelne Kapitel erneut angewählt werden.

Gerade im Gameplay zeigt sich jedoch eine gewisse Zerrissenheit des Remakes. Einerseits wurden Rätsel modernisiert, die Interaktivität erhöht und Komfortfunktionen wie die Schnellreise oder die Hervorhebung von Hotspots hinzugefügt. Andererseits hält man eisern an der starren Navigation zwischen festen Punkten fest. Diese Treue zum Original kann durchaus als veraltet empfunden werden und könnte für Spieler, die an die Bewegungsfreiheit moderner Titel gewöhnt sind, die größte Hürde darstellen. Es entsteht ein Spannungsfeld zwischen neuem Glanz und alter Struktur, das die Geister scheidet.

Hinzu kommt, dass die Zugänglichkeitsoptionen wie der ‚Traveler‘-Modus und das Hinweissystem in Kombination mit den oft als logisch und nicht übermäßig schwer beschriebenen Rätseln die Frage aufwerfen, ob die für das Genre typische Herausforderung für Veteranen verwässert wird. Das Spiel läuft Gefahr, sich mehr wie eine interaktive Geschichte anzufühlen als ein forderndes Knobelabenteuer, was zwar Neulinge willkommen heißt, aber Hardcore-Fans eventuell unterfordert.

Ein Abenteuer wie Amerzone lebt maßgeblich von seiner Atmosphäre, und hier spielt die audiovisuelle Präsentation eine entscheidende Rolle. Das Remake ersetzt die vorgerenderten Hintergründe des Originals durch vollständig in 3D realisierte Umgebungen. Dabei versucht man, Benoît Sokals unverkennbaren Stil einzufangen: eine Mischung aus Realismus und fantastischen Elementen, in der üppige, exotische Natur die Ruinen menschlicher Zivilisation zurückerobert.

An vielen Stellen gelingt dies eindrucksvoll. Die Umgebungen sind oft wunderschön und detailreich, gefüllt mit fantasievoller Flora und Fauna, die zum Abtauchen in die Spielwelt beitragen.

Eine stimmungsvolle Beleuchtung unterstreicht die jeweilige Tageszeit und den Charakter der Orte, von warmem Abendlicht im Leuchtturm bis zur drückenden Dunkelheit im Dschungel. Doch das positive Bild wird getrübt. Die Grafik ist technisch längst nicht durchgehend auf der Höhe der Zeit und wirkt teilweise etwas angestaubt. Die Qualität schwankt, manche Texturen wirken unscharf, die Beleuchtung hier und da veraltet, und besonders die Animationen von Charakteren und Tieren wirken steif, mechanisch oder ‚uncanny‘ (unpassend).

Noch gravierender wiegt die technische Performance auf der PlayStation 5. Zwar gibt es die üblichen Modi für Qualität und Leistung, doch das Erlebnis schwankt deutlich. Während wir viele Momente mit flüssigen Darstellungen mit 60 Bildern pro Sekunde im Performance-Modus erlebt haben, klagen wir in anderen Szenen wiederum über deutliche Framerate-Einbrüche, Ruckler und allgemeine Unflüssigkeiten, die selbst im Qualitätsmodus oder beim bloßen Umschauen im Stand auftreten können.

Solche technischen Mängel können die sorgfältig aufgebaute Atmosphäre empfindlich stören und die Immersion beeinträchtigen. Auch längere Ladezeiten zwischen den Gebieten müssen wir in Kauf nehmen.

Akustisch präsentiert sich Amerzone ebenfalls mit Licht und Schatten. Der neue Soundtrack, komponiert von Branchenveteran Inon Zur und seinem Sohn Ori Zur, ist exzellent gelungen und fängt das Gefühl eines weltumspannenden Abenteuers in exotischen Ruinen gut ein. Vergleiche mit dem Score von Uncharted 2 können hier durchaus gezogen werden. Allerdings ist der Soundtrack mit rund zwanzig Minuten recht kurz und wird im Spiel selbst eher spärlich eingesetzt, oft nur bei Szenenwechseln oder dem Finden von Hinweisen.

Die Umgebungsgeräusche – Dschungelkulisse, Wellenrauschen, Tierlaute – tragen hingegen effektiv zur Atmosphäre bei und lenken nicht von den Rätseln ab.

Die Sprachausgabe wurde für das Remake komplett neu aufgenommen. Die Meinungen der alten Fans hierzu sind geteilt: Manche finden sie solide und kompetent, andere empfinden sie als durchwachsen, steif und unnatürlich, besonders bei Nebenfiguren. Letztlich zeigt sich auch bei der Präsentation die Ambivalenz des Remakes: Der Versuch, Sokals einzigartige Ästhetik modern umzusetzen, ist lobenswert, doch die technische Ausführung mit ihren Schwankungen bei Grafikqualität, Animationen und Performance wird diesem Anspruch nicht immer gerecht und kann die künstlerische Vision verwässern.

Amerzone: The Explorer’s Legacy ist eine Reise in die Vergangenheit – sowohl thematisch als auch spielmechanisch. Es ist ein unverkennbar liebevolles und atmosphärisch dichtes Remake eines Nischenklassikers, das dem Erbe Benoît Sokals mit Respekt begegnet. Die Stärken liegen klar in der fesselnden Prämisse, der geheimnisvollen Welt voller Mythen und untergegangener Zivilisationen sowie der melancholischen Grundstimmung.

Der neue Soundtrack ist ein akustisches Highlight, und die Zugänglichkeitsoptionen machen das Abenteuer auch für Neulinge prinzipiell gut spielbar.

Dem gegenüber stehen jedoch signifikante Schwächen. Die größte Hürde dürfte die starre, auf festen Punkten basierende Navigation sein, die sich im Jahr 2025 für viele Spieler schlichtweg veraltet anfühlt und den Erkundungsdrang einschränkt. Problematisch ist zudem die inkonsistente technische Performance.

Die Rätsel könnten erfahrenen Abenteurern, besonders unter Nutzung der Hilfen, zu einfach erscheinen, die Qualität der Sprachausgabe ist solide, aber bei Fans nicht unumstritten, und der Wiederspielwert ist naturgemäß gering. Zudem stehen wir letztlich vor einem unbefriedigenden Ende, was angesichts der thematischen Tiefe und des langsamen Aufbaus der Geschichte schade ist und den narrativen Gesamteindruck schmält.

Unser Urteil fällt daher zwiegespalten aus. Amerzone: The Explorer’s Legacy ist eine faszinierende, aber fehlerbehaftete Reise – ein liebevoll restauriertes Denkmal mit sichtbaren Rissen in der Fassade. Wir können es vor allem jenen ans Herz legen, die das Original von 1999 kennen und lieben, Fans von Benoît Sokals Werken sind oder eine starke Nostalgie für klassische Point-and-Click-Abenteuer hegen und bereit sind, über technische Unzulänglichkeiten sowie die altmodische Spielmechanik hinwegzusehen.

Für Neulinge kann es dank der Geschichte und Präsentation ein interessanter Einstiegspunkt sein, doch die Warnung vor der eingeschränkten Bewegungsfreiheit und den potenziellen Performance-Problemen muss ausgesprochen werden. Wer Wert auf butterweiche Technik, moderne Erkundungsmechaniken oder gar Action legt, wird hier definitiv nicht fündig.

Es bleibt ein Spiel für eine spezifische Zielgruppe – ein wunderschönes, aber eben auch etwas angestaubtes Relikt, das uns auf eine ganz besondere, entschleunigte Expedition einlädt, sofern wir uns auf seine Bedingungen einlassen.

Amerzone Remake: The Explorer’s Legacy – 25 Jahre Jubiläums Edition [PS5]
  • Auf ins Abenteuer: In einem geheimnisvollen Land voller verborgener Wahrheiten brichst du auf die Suche nach den sagenumwobenen Großen Weißen Vögeln auf.
  • Amerzone, das 1999 erschienene Meisterwerk des Adventure-Pioniers Benoît Sokal, kehrt in neuem Glanz zurück.
  • Ein fesselndes Abenteuer: Tauche ein in ein Szenario, das dem Original treu bleibt, aber mit neuen Features angereichert ist. Löse knifflige Rätsel, finde wertvolle Hinweise und lüfte das Geheimnis der sagenumwobenen Großen Weißen Vögel.