Ganz unvoreingenommen und völlig ahnungslos, geht man an das Unbekannte heran, denn dadurch kann eigentlich keine Enttäuschung aufkommen. Genauso war unsere Einstellung, als uns ein vermeintlicher PC-Hit Chernobylite erreicht hat. Die ersten Lebenszeichen wurde am 16. Oktober 2019 wahrgenommen und nun kann für knapp 29 Euro unsere Heimkonsole etwas von der lebensgefährlichen Strahlung abbekommen. Ob das Entwicklerteam The Farm 51 uns damit einen Gefallen getan hat und ob der Publisher All in! Games wirklich einen Hit veröffentlichen konnte, haben wir unter die verstrahlte Lupe genommen. Auf Empfehlung des Entwicklers haben wir diese Erfahrung auf Sony’s leicht eingestaubten PlayStation 4 erlebt, da eine PlayStation 5 Version erst in den nächsten Wochen folgt.
Ersteindruck
Paranormale Phänomene
Wie der Name schon verrät, finden die folgenden 20 Spielstunden in der aus den Nachrichten mehr oder weniger bekannten Tschernobyl-Sperrzone statt. Dass es sich hier nicht nur um eine normale Verstrahlung handelt, wird gleich zu Beginn klar, denn unsere verschollene fast Ehefrau liegt uns klagend in den Ohren und versucht uns auf den rechten Weg zu bringen. Jedoch gab es vermutlich nicht nur schöne Zeiten, denn auch ein harscher Ton bleibt nicht aus. Nicht nur unsere verschwundene bessere Hälfte, sondern auch die Schlamm-ähnlichen Kreaturen, die unsere AK47 zum Opfer fallen, zeigen starke paranormale Phänomene auf – Dies geht weit über die üblichen Strahlungsveränderungen hinaus. Haben wir die ersten 30 Minuten von der schnell vergessenen Gesichtserzählung abgeschlossen, befinden wir uns im Kernstück von Chernobylite wieder.
In einer kleinen Lagerhalle, weit entfernt vom verseuchten Wegesrand, beginnt unsere Mission des Wiederaufbaus. Vielmehr könnten wir es auch den Kampf ums nackte Überleben nennen, denn Chernobylite versteht sich als Science-Fiction-basiertes Survival-Horror-RPG und biete viele Gelegenheiten ins besondere grüne Gras zu beißen. Der Schwierigkeitsgrad variiert hier stark nach eigenen Vorlieben. Die Gefechte, die Ressourcenbeschaffung und die eigene Überlebenstruppe kann unabhängig voneinander einfacher oder verrückt schwer eingestellt werden. Wobei wir auch beim Thema anderer Überlebender wären, die zusammen mit uns die Basis in ein lebensfähiges Gebäude gestalten. Die erste Person retten wir noch in den ersten Spielminuten, hier kommt unsere spezielle Fähigkeit zum Einsatz, mit der wir neue Dimensionen erschaffen können, um an andere Orte zu erreichen. Der Name der Geretteten kann vorerst vernachlässigt werden, da die Chance besteht, dass sich unsere Wege schneller trennen als uns lieb gewesen wäre. Nun geht das Überleben, in der uns noch so unbekannten Welt los.
Gameplay
Gewöhnungsbedürftig oder schwer
Wir sind ein Nichts. Zumindest, wenn wir unseren Strahlenscanner nicht dabeihätten. Dieser ist gleich zu Beginn unser treuster Gefährte und sollte stetig in unserer Hand gehalten werden. Schon bevor wir unseren Zufluchtsort erreichen, gibt uns dieser kleine elektrische Kasten die richtigen Hinweise, welche tausenden Gegenstände doch wichtig für unseren bevorstehenden Herausforderungen sind. Mit einem gezielten Knopfdruck wird die ganze Umgebung gescannt und alle nützlichen Items werden farblich hervorgehoben, sodass unsere zwei strahlungsfreien Beine uns nur noch in Position bringen müssen. Wie in jedem guten Überlebenskampf, gehören eine Menge sammelbare Gegenstände dazu, um mindestens ein Drittel der Spielzeit damit zu füllen.
Haben wir diese Mechanik schon nach den ersten Minuten in unserem Muskelgedächtnis verinnerlicht, sind wir auch schon bereit für den eigentlichen erbarmungslosen Tanz mit dem Überleben. In unserer Zentrale gibt es ein Ferngas, welches uns über die aktuellen möglichen Missionen in der Ferne informiert. Hier können wir jeden Tag eine dieser Aufgaben nach besten Gewissen absolvieren. Das Gleiche gilt für unsere Mannschaft aus tapferen Überlebenskämpfer, die in jeder dieser Mission ihr virtuelles Leben lassen können. Die Erfolgschance wird gnädigerweise immer mit einer Erfolgswahrscheinlichkeit dargestellt. Unser Erfolg richtet sich natürlich nach dem eigenen Können und kann nur variieren, wie gründlich wir die unterschiedlichen Gebiete erkunden. Je gründlicher, desto mehr Nahrung kann beispielsweise für unseren Trupp erbeutet werden. Wir müssen nämlich in verschieden Bereichen darauf achten, dass unsere Basis langsam zu einem angenehmen Lebensumfeld wird. So stärken wir auch die Moral der ansteigenden Belegschaft. Anfangs noch mit einem kleinen Revolver ausgestattet, ist es auch wichtig bessere Ausrüstung in den Missionen zu finden, um in den späteren Kämpfen eine bessere Überlebenschance aufzuweisen.
Die Steuerung ist hier ziemlich gewöhnungsbedürftig und lässt die Kämpfe unnötig schwer ausfallen, auch wenn wir auf dem sehr hohen Schwierigkeitsgrad ordentlich einstecken können. Die Feinde haben ihre eigene Lebenslinie, die mitten im Bild auftaucht und das eigentliche Ziel kaum noch erkennen lässt. Hier sollte vermutlich einfach das ganze HUD ausgestellt werden, um die allgemeine Übersicht zu verbessern. Dies trägt auch zu nicht ganz so ausdrucksstarken Atmosphäre bei.
Nicht nur die Lagerhalle kann mit unseren Baukünsten im neuen Glanze erstrahlen, sondern auch in den einzelnen Missionen können wir darauf in abgespeckter Form zurückgreifen. Wo wir in der ersten Möglichkeit noch ganze Werkbänke oder Schlafgemächer errichten können, beschränkt es sich bei der zweiten auf einen kleinen Werktisch oder die Optionen verschiedener Fallen zu erstellen. Beide Schaffensprozesse verbrauchen die wichtigen Ressourcen und sollten immer mit Bedacht ihren Einsatz finden. Dieser ganze Ablauf wiederholt sich in immer komplexeren Mustern, bis unser neues Zuhause und unser Team mit den besten Materialien bestückt ist, zumindest was das verstrahlte Umland zu bieten hat.
Umfang & Motivation
Begrenztes Sperrgebiet
Wer gerne eine offene Spielwelt erkundet, die sich über weite Gebiete des Sperrgebiets erstreckt, wird auf jeden Fall enttäuscht zurückgelassen. Nachdem wir mit dem Fernglas unser Frieden geschlossen haben, kommt die vorher erwähnte interdimensionale Portalkanone zum Einsatz. Diese verfrachtet uns in die einzelnen kleinen Sandbox-Areale, die mit schnellem Schritt schnell durchquert werden können. Davon gibt es lediglich fünf unterschiedliche Zonen, zwar zu verschiedenen Tageszeiten und mal mehr oder weniger stark ausgeprägten Feindverkehr, jedoch kann dies schnell eintönig ausfallen.
Die darauf verteilten Missionen fallen zumindest etwas abwechslungsreicher aus, jedoch nichts was wir nicht schon dutzende Male in anderen Überlebenskämpfen absolvieren müssten. Auch hier können wir neue Verbündete befreien oder feindliche Stellungen sabotieren, wenn uns danach ist, können wir auch einer Zielperson das Licht ausknipsen. Wenn uns aber nicht danach ist, dürfen wir auch mit unseren besten Kumpel Umgebungs-/Strahlungsscanner die Gegend nach neuem Crafting-Material erkunden. Wer weiß, vielleicht finden wir sogar Hinweise zu unserer verschollenen Verlobten.
Was Chernobylite aber wirklich will, ist uns nicht ganz klar geworden, denn es gibt viele Spielelemente, die hier in einem wilden Mix zusammenkommen. Wenn wir einmal das Zeitliche segnen, ist zum Glück oder vielleicht leider noch nicht das Ende erreicht. Durch eine Zeitreise in einer Zwischenwelt haben wir die Möglichkeit vergangene Entscheidungen zu beeinflussen und uns eine Realität zu erschaffen, die uns für unser erneutes Leben am sinnvollsten erscheint. Durch dieses Wurmloch können wir die ein oder andere Erfahrung wieder rückgängig machen und einen erneuten Versuch starten. Dann gibt es noch die Horror-Elemente, die auf einer sehr schwachen Ebene einen das Fürchten lehren will. Die besten Erfahrungen kann man hier wohl einem leerstehenden Krankenhaus machen. Nichts was wirklich hervorsticht und länger als ein kurzes Zucken im Gedächtnis bleibt. Zu den moralischen Entscheidungen, die im Laufe der Story getroffen werden müssen, die auch unseren geistigen Gesundheitszustand beeinflussen können, gesellen sich noch Detektiv-Arbeiten, um den Verbleib unsere Verlobten aufzuklären. Wenn wir hierzu noch die ungelenkige Shooter-Mechanik verknüpfen, haben wir ein perfektes Beispiel, dass möglichst viel nicht viel hilft und einen begrenzten Spielspaß offenbart. Natürlich gibt es auch noch den Basisausbau und die Ausbildung unser bis zu fünf Söldner. Ob wirklich alles ins Spiel passt oder vielleicht mehr Liebe ins eigentliche Gameplay fließen hätte sollen, kann jeder selbst erleben.
Grafik & Sound
Nicht ganz zeitgemäß & übertrieben
Die Sperrzone, die als unser Spielfeld dient, stammt von echten Aufnahmen. Die Entwickler sind mit einem eigenen Team in die Ukraine abgetaucht und haben gezielte Scans und Fotografien von den dortigen Gegebenheiten aufgenommen. Dann wurden aus den dutzenden Aufnahmen die im Spiel vorzufinden Umgebungen gestaltet. Für jemanden der selbst nie in dieser Sperrzone einen Fuß gesetzt hat, wirken die gestalten Level schon sehr detailgetreu und lassen den Charme widerspiegeln, denn man von solchen Orten erwarten würde. Die vermutlich bekanntesten Gebiete wie das Café Prypjat oder das Emerald Pioneer Camp sind auch unter den zu erkundbaren Orten mit dabei. Ein perfekter Fotorealismus konnte allerdings nicht erreicht werden, viele matschige Texturen und gelegentliche Frameeinbrüche stören das Gesamtbild. Ob die zerfallenen Ruinen ähnliche Gebäude und die von der Natur zurückeroberten Straßen, dem Auge lange genug schmeicheln, ist dann natürlich auch wieder Geschmackssache. Jedenfalls wird ein guter Eindruck vermittelt, dass keine Menschenseele in solchen Landschaften lange verweilen möchte.
Sind wir in die verfallenen Häuser unterwegs, ist es eigentlich nie wirklich still. Denn ständig spielt im Hintergrund irgendein Instrument, die unserer Ansicht die Atmosphäre in den Keller verfrachtet. Vermutlich soll durch das permanente Geklimper auf einer Geige oder einem Klavier zu dem angestrebten Horror beitragen. Jedoch ist dies eigentlich nur nervig und hätte mit natürlichen Umgebungsgeräuschen einen besseren und Kosten-günstigeren Job getan. Wir sind einfach kein Fan von musikalisch getriebener Atmosphäre und bevorzugen stilvoll platzierte Soundelemente.
Fazit
Viel gewollt, wenig erreicht…
… so könnten wir unseren bescheidenen Eindruck von Chernobylite abrunden. Es ist gewiss kein schlechtes Spiel, allerdings kam bei uns nie wirklich Spielspaß auf. Dies ist zum Großteil den schlechten Ego-Shooter-Elementen geschuldet, lieber sind wir Kämpfen aus dem Weg gegangen, um von der ungelenkigen Kampfmechanik verschont zu bleiben. Wenn wir gemein sind und Metro: Exodus als Vergleich heranziehen, zeigen sich deutlich die Schwächen von Chernobylite auf. Wer aber lieber gerne das Verbotene erkundet und einen Abschluss in Form einer GTA Heist Mission bevorzugt, macht für den verlangten Preis definitiv nicht viel falsch. Jedoch hätten wir mehr Fokus auf dem Wesentlichen erwartet, sodass ein besseres Spiel auf dem Markt erschienen wäre, was nicht so schnell in Vergessenheit geraten würde.
- Erkundung - Finde die schöne und schrecklich genaue 3D-gescannte Nachbildung der Sperrzone von Tschernobyl.
- Nichtlineare Darstellung - Tauche ein in die spannende Science-Fiction-Horrorgeschichte.
- Teambildung - Unterstütze deine Begleiter, und sie werden dich unterstützen. Andernfalls bist du bei deiner Ankunft tot.