Nach dem viel beachteten Spiele-Hits wie Life is Strange und Tell Me Why entführen uns Entwickler Dontnod erneut in die verstrickten Dramen amerikanischer Kleinstädte.
Ersteindruck
Leichen, Lügen und Intrigen
Sam Higgs ist nicht begeistert, nach zweijähriger Abstinenz in seinen Geburtsort Basswood zurückzukehren. Viele Einwohner der Kleinstadt sind ebenso wenig erfreut Sam wiederzusehen. Sam verdient sich als Investigativjournalist seine Brötchen und hatte mit seinen Reportagen einen riesigen Skandal um die in Basswood ansässige Kohleindustrie aufgedeckt. Der aufgeflammte Skandal zog derart weite Kreise nach sich, dass die Kohlemine geschlossen und alle Arbeiter ihren Job verloren haben.
Für einen Ort wie Basswood, der praktisch nur von den Einnahmen seiner Kohlevorkommen lebt, war das eine riesige Katastrophe und hat das Städtchen bis ins Mark erschüttern lassen. Sam bekam daraufhin kalte Füße und hat sich quasi über Nacht aus dem Staub gemacht. Zurück blieben seine Kollegen bei der hiesigen Zeitung, seine Lebensgefährtin und sein bester Freund Nick.
Nach mehrjähriger Funkstille sind wir also nach Basswood zurückgekehrt. Wir sind nicht freiwillig hier. Nick ist bei einem Autounfall ums Leben gekommen und nun fahren wir auf seine Beerdigung, um unserem alten Freund die letzte Ehre zu erweisen. Doch wie dem so ist, geraten mit unserer Rückkehr Steine ins Rollen und alles kommt anders, als es sich Sam vorgestellt hatte. Es gibt berechtigte Anzeichen dafür, dass Nick nicht selbstverschuldet gestorben ist und auch wir selbst, treffen auf Leichen, Lügen und Intrigen.
Das war nur die einleitende Rahmenhandlung von Twin Mirror. Nähere Story-Details möchten wir euch an dieser Stelle nicht nennen, da wir sonst spoilern müssten.
Gameplay
Imaginäre Freunde und Paläste
Ganz nach der Machart eines Life is Strange setzt Twin Mirror seinen Fokus im Erzählen seiner Geschichte. Besonders gefordert werden wir als Spieler deshalb zu keiner Zeit. Die größte Stärke von Twin Mirror ist der gut dosierte Spannungsbogen, der sich mit fortlaufender Handlung immer stärker aufbaut und uns zum weiterspielen animiert. Wie bei einem guten Buch, so fällt es uns auch bei Twin Mirror schwer, es zur Seite zu legen. Wir möchten unbedingt wissen, wie das Abenteuer weiter verläuft.
Neben der Ähnlichkeit zu anderen Storygetriebenen Spielen, fällt Dontnods Spiel durch zwei grundlegende Elemente auf.Sam ist ein Eigenbrötler, der viel in seiner eigenen Gedankenwelt lebt. Das spielt auch im Verlauf eine entschiedene Rolle. Zum einen steht uns immer ein imaginäres Ebenbild Sams zur Seite. Er repräsentiert gleichwohl die innere Stimme Sams und bietet uns neue Sichtweisen zu den einzelnen Situationen an.
Ein weiteres Gameplay-Element ist der Gedankenpalast. Auch dieser wird in Sams Kopf erschaffen. Wir betreten ihn, wenn es darum geht, selbst komplizierte Zusammenhänge logisch nachvollziehen zu können. In einigen Passagen des Spiels ist detektivische Aufklärungsarbeit gefragt. Dann sind wir als Spieler gefordert, mithilfe des Gedankenpalastes unserer Lösung ein Stückchen näherzukommen.
Der Gedankenpalast hat uns beim Durchspielen gut gefallen, da er sich sehr stimmig in die detektivischen Recherchearbeiten Sams einbettet. Den imaginären Freund hätten sich die Entwickler wohl eher sparen können, da wir das ein oder andere Mal das Gefühl bekommen, dass wir mit seiner Meinung in eine bestimmte Richtung gelenkt werden und weniger der Eindruck entsteht, dass wir in unseren Spielentscheidungen freie Hand haben. Doch so spannend die Geschichte auch ist, insgesamt weist sie auch ein paar Schwächen auf. Einige Handlungsstränge kommen viel zu kurz oder werden direkt wieder fallen gelassen. Auch die meisten Charaktere bleiben oft recht oberflächlich. Wir lernen die Figuren viel zu wenig kennen, um etwas für sie empfinden zu können.
Grafik & Sound
Es wird realistischer
Bisher setzte Dontnod mit der Life is Strange Serie ja eher auf einen cartoonhaften Grafikstil. Zuletzt mit Tell Me Why und nun auch mit Twin Mirror versucht sich das kanadisch-französische Studio eher zu realistischeren Charaktermodellen. Der frische Grafikstil weiß zu gefallen und fängt die Kleinstadt oft sehr stimmig ein, nur ist auch hier noch etwas mehr Feinschliff vonnöten.
Getestet haben wir die PS4-Version auf einer PS5-Konsole und dennoch begleiten uns nachladende Texturen – besonders bei schnellem Szenenwechsel. Die Gesichtsanimationen wirken oft recht steif und regungslos. Eine Schwäche, die Dontnod in zukünftigen Spielen in Angriff nehmen sollte. Denn besonders bei einer emotionsgeladenen Handlung ist es wichtig, dass sich die Gefühle in den Gesichtszügen der Protagonisten wiederfinden lassen.
Die Umsetzung des Sounds ist in Ordnung, doch bleibt klar hinter den Qualitäten von Life is Strange zurück, das unter anderen mit einem fantastischen Soundtrack glänzen konnte. Diesen Wow-Effekt bleibt uns Twin Mirror schuldig. Die englischen Sprecher sind gut gewählt und bieten eine überzeugende Performance. Schade ist es aber, dass es keine deutsche Sprachausgabe gibt, sondern Englisch die einzige Wahl bleibt.
Umfang
Spielspaß in einem Stück
Eine weitere Neuerung gegenüber vorangegangenen Dontnod-Spielen ist, dass mit Twin Mirror gänzlich auf eine Veröffentlichung im Episodenformat verzichtet wird. Wir dürfen das spannende Abenteuer von Sam Higgs an einem Stück erleben. Die Story wird uns etwa sechs Stunden in ihren Bann ziehen und bietet, dank mehrerer verschiedener Enden, einen großen Wiederspielwert.
Fazit
Eine Geschichte, so spannend wie ein gutes Buch
Mit Twin Mirror ist Dontnod erneut eine spannende Geschichte gelungen, die irgendwo zwischen Kleinstadt-Drama und Thriller wandelt. Sam Higgs ist ein interessanter Charakter, der in seiner Zerrissenheit imaginäre Welten erschaffen hat, in die er sich zurückzieht. Der Gedankenpalast ist daher auch sehr passend in das Gameplay mit eingewoben worden. Kleine Schwächen bei der Entscheidungsfreiheit und den Gesichtsanimationen trüben den Spielspaß etwas, doch unterm Strich bleibt Twin Mirror eine spannende Geschichte, die uns an einem winterlich-trüben Wochenende nur allzu gut zu packen weiß.